Faire Produktion
für eine faire Textilindustrie

Zwangsarbeit, schlechte Bezahlung, mangelnde Sicherheit: Bei der Textilproduktion sind Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung. Fairtrade setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen in der textilen Lieferkette ein. Eine Baumwollpflücker-Familie aus dem indischen Dorf Nandul und eine Arbeiterin einer fair produzierenden Textilfabrik berichten, was dieses Engagement für sie bedeutet.

Kapitel 1

Baumwollbauernfamilie Banchor

Wenn der Baumwollbauer Barun Banchor morgens aus dem Haus zur Arbeit geht, schaut er selbstbewusst auf den kleinen Besitz, den er sich gemeinsam mit seiner Familie erarbeitet hat. Ein Haus haben sie gebaut, an der Fassade lehnt das Fahrrad von Sohn Ruman. Es steht direkt an der Hauptstraße des Dorfs Nandul im Bundesstaat Odisha am Golf von Bengalen. Der 39-Jährige ist seit 12 Jahren als Farmer tätig, und wenn man ihn fragt, was der Baumwollanbau für ihn heute bedeutet, macht er eine kurze Pause, bevor er antwortet: „…Alles.“

Das war nicht immer so. Lange konnte er von seiner Tätigkeit als Baumwollbauer nicht leben und arbeitete deshalb als Arbeiter im Straßenbau; er verdiente dabei – man kann es nicht anders sagen – einen Hungerlohn. Und jetzt? Es war die Zusammenarbeit mit Fairtrade, die sein Leben und das seiner Familie verändert hat. Seit sechs Jahren bauen er und seine Frau Drupati, 33, faire und biologisch angebaute Baumwolle an. Durch Fairtrade konnten sie auf Bio-Anbau umstellen. Auf drei Hektar Land – damit sind sie nur Kleinbauern. Aber der Verdienst reicht aus, um der Familie ein sicheres Einkommen zu garantieren, den Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen.

Und mehr noch: Familie Banchor betreibt außerdem eine kleine Rinderhaltung. Möglich wurde das durch eine Fairtrade-Prämie. Diese Prämie wird jedes Jahr neu vergeben – und ein Prämienprojekt war die Anschaffung von Nutzvieh. Jetzt stehen drei Kühe in dem kleinen Stall direkt an der Straße, an deren Ende die Kuppel eines hinduistischen Tempels in den Himmel ragt. Drupati verkauft die Milch oder stellt daraus Käse und Süßigkeiten her.

In Nandul leben etwa 100 Baumwollbauern-Familien, die meisten von ihnen besitzen nur wenige Hektar Land. Den Lebensstandard dieser Kleinbauern zu verbessern, ist das Ziel der Organisation Om Organic, ein Zusammenschluss von Kleinbäuerinnen und -bauern, die ihre Baumwolle zu Fairtrade-Standards anbauen und handeln – dem umfassendsten Nachhaltigkeitsstandard am Markt. Die Idee dahinter: Gemeinsam können die Produzenten dem Markt größere Mengen Baumwolle anbieten und werden so zu ernst zu nehmenden Handelspartnern. Über Fairtrade erhalten sie einen Mindestpreis. Auch Familie Banchor ist Mitglied von Om Organic und damit eine von über 30.000 Familien in Indien, die Fairtrade-Baumwolle anbauen.

Interview:

Drupati Banchor

Die 33-Jährige ist seit 12 Jahren in der Landwirtschaft tätig. Sie lebt mit ihrer Familie im Dorf Nandus im indischen Bundesstaat Orissa.

Drupati, was haben Sie gemacht, bevor Sie Landwirtin wurden?
Ich arbeitete für eine Regierungsfirma, die im Straßenbau tätig ist. Mein Lohn betrug zwischen 100 und 200 Rupien am Tag. Es war ein hartes Leben für uns. (Anmerkung: 100 indische Rupien entsprechen etwa 1,20 Euro.)

Was bedeutet der Baumwollanbau für Sie?
Wir sind jetzt in der Lage, unsere Kinder auszubilden, Kleidung zu kaufen und alles andere, was wir im Haushalt brauchen. Wir können einfach die Familie besser versorgen.

Was hat sich durch Fairtrade und die Prämie verändert?
Wir erwirtschaften jetzt einen guten Gewinn auf dem Baumwollfeld. Davon können wir auch mal den Kindern ein Spielzeug oder eine Schokolade besorgen. Wenn wir noch mehr Geld hätten, könnten wir Land für unser Mädchen kaufen – als Mitgift für ihre Hochzeit.

Was erhoffen Sie sich für Ihre Zukunft?
Ich möchte, dass alle Frauen eine Ausbildung erhalten. Und ich wünsche mir, dass sowohl Männer als auch Frauen selbst Land erwerben. Vor allem die Frauen, damit sie auch nach der Heirat ein unabhängiges Einkommen erzielen können.

Kapitel 2

Die Textilfabrik Purecotz

Sie liegt nicht weit vom Meer entfernt, in einem Industriegebiet der Kleinstadt Umargam. Um die Fabrikhalle herum stehen Bäume, und auf dem kleinen Parkplatz haben die Arbeiterinnen und Arbeiter ihre Motorroller abgestellt. Ein gutes Zeichen, denn wer sich einen fahrbaren Untersatz leisten kann, verdient nicht schlecht. Etwa 1000 Männer und Frauen arbeiten in der Textilfabrik Purecotz, zwei Autostunden nördlich von Mumbai gelegen; eine von ihnen ist die 57-jährige Lata Admi Shindi. Die Angestellten haben nicht nur ein solides Auskommen, für sie gelten auch sonst bessere Bedingungen als in den meisten anderen Textilbetrieben. Denn Purecotz ist nach dem Fairtrade-Textilstandard zertifiziert. Dieser fordert, dass alle Beschäftigten ein existenzsicherndes Einkommen innerhalb von sechs Jahren erhalten. Und wer hier arbeitet, bekommt nicht nur so viel bezahlt, dass es gerade zum Leben reicht, sondern auch für Bildung und eine längerfristige Perspektive. Die Arbeiterinnen und Arbeiter haben Mitspracherecht und realistische Aufstiegschancen.

Der Besitzer der Fabrik heißt Amit Narke. Ein wohlhabender und engagierter Geschäftsmann, der Verantwortung übernehmen möchte für eine positive Entwicklung seines Landes. Der Fairtrade-Textilstandard, nach dem sein Betrieb zertifiziert ist, ist anspruchsvoll: Er verlangt Sozial- und Umweltstandards in allen Produktionsschritten entlang der gesamten Lieferkette. Amit Narke legt größeren Wert auf nachhaltige Produktion als auf Wachstum um jeden Preis. Deshalb produziert Purecotz unter anderem Kleidung für das Fair Fashion Unternehmen Melawear in Kassel.
In die Fabrikhalle werden fertig gefärbte Baumwollstoffe angeliefert. Und dann? Vom Spinnen und Weben an großen Maschinen über das Zuschneiden und Vernähen der einzelnen Teile über die Qualitätskontrolle bis zum Verpacken – an jeder Station führen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die richtigen Handgriffe aus. Die gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitszeiten werden dabei strikt eingehalten. Auch darin unterscheidet sich eine Fairtrade-zertifizierte Fabrik von den meisten anderen Betrieben.

Interview:

Lata Admi Shinde

Die 57-Jährige lebt in Umargaon und ist seit fast 30 Jahren in der Textilfabrik Purecotz tätig. Die Fabrik arbeitet nach dem Fairtrade Textilstandard.

Lata, wie sieht Ihr Tagesablauf aus?
Ich stehe gegen 5.30 Uhr auf und bereite dann mit Hilfe meines Mannes das Essen vor. Meistens gibt es Roti, also Brot, und Gemüse. Dann nehme ich ein Bad, bete und gehe zwischen 7.30 Uhr und 7.45 Uhr aus dem Haus.

Und was macht Ihr Mann?
Er arbeitet in einem Elektronikgeschäft im selben Dorf, etwa 15 Minuten zu Fuß von unserem Haus entfernt. Mittags kommt er zum Mittagessen nach Hause.

Was genau arbeiten Sie in der Fabrik?
Ich bin in der Endfertigung tätig, kontrolliere den Zuschnitt der Kleidungsstücke und führe stichprobenartige Prüfungen durch.

Wie läuft die Mittagspause ab?
Ich habe mein Essen in einer Box dabei. Manchmal gehe ich auch mit meinen Kollegen in die Kantine. Wir bekommen alle einen Gutschein für das Mittagessen.

Haben Sie schon einmal in einer anderen Fabrik gearbeitet?
Ja, früher war ich für Usha Garment in Umargaon tätig. Dort wurde ich nach Stückzahl bezahlt. Bei geringerer Stückzahl gab es weniger Geld. Hier arbeite ich entsprechend den mir übertragenen Aufgaben und werde angemessen bezahlt.

Kapitel 3

Deine Verantwortung als Konsument

Wie viele Kleidungsstücke kaufen deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher jedes Jahr? 60 Stück! T-Shirts, Hosen, Jacken – jeden Monat kommen fünf neue Teile dazu. Niemand kann so viel Kleidung sinnvoll tragen. „Fast Fashion“ nennen Fachleute diesen Trend, der seit Jahren unseren Konsum bestimmt: Immer neue, immer billigere Kollektionen und Sonderaktionen. Klamotten, die weniger kosten als ein Big Mac mit Pommes. Kein Wunder, dass viel davon im Müll landet.
Zum Glück stellen immer mehr modebewusste Menschen diesen Trend in Frage. Und denken darüber nach, auf wessen Kosten die Billigproduktion stattfindet. Denn in vielen Ländern wie etwa Indien schuften Frauen und Männer unter fragwürdigen Bedingungen in der Textilindustrie. Menschenrechtsverletzungen sind dabei an der Tagesordnung.
Die Schauspielerin Anne Menden, Star bei „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, will das nicht akzeptieren. Als Gesicht der Kampagne „Change Fashion – Choose Fairtrade“ möchte sie zeigen, dass eine andere, nachhaltige Fashion-Kultur möglich ist. Denn Labels wie Dedicated, Thokk Thokk oder mela wear bieten Mode an, die unter ökologischen und fairen Bedingungen produziert wurde. 2020 gründete die Schauspielerin mit V.age sogar ihr eigenes Label. Ihr Ziel: Abwechslungsreiche, faire und vor allem bezahlbare Mode auf den Markt zu bringen. Nur eines haben die Teile gemeinsam: Sie alle tragen das Fairtrade-Baumwollsiegel.

Interview:

Anne Menden

Die Schauspielerin Anne Menden über fair produzierte Kleidung, vegane Mode am Set von GZSZ und den Inhalt ihres Kleiderschranks.

Anne, warum engagierst du dich für Fairtrade?
Das war ein langer Weg. Als Jugendliche habe ich mich sehr für Tierschutz interessiert und mit 13 meinen ersten Hund aus dem Tierheim geholt – der hatte nur drei Beine und sollte eingeschläfert werden. Das war für mich der erste Schritt zu einem grundsätzlichen Engagement für die Umwelt. Und natürlich für die Menschen, die zum Beispiel bei der Textilproduktion ausgebeutet werden. Mit welchem Recht bekommen Textilarbeiterinnen in anderen Ländern für die gleiche Arbeit weniger Geld als bei uns? Damit habe ich mich lange beschäftigt. Und so kam auch der Kontakt mit Fairtrade zustande. Die Arbeit, die dort geleistet wird, ist einfach wahnsinnig wichtig, und ich bin stolz darauf, dabei zu sein.

Du lebst selbst nach nachhaltigen Prinzipien. Bist du damit ein Vorbild bei deinen Fans?
Viele Leute, die GZSZ schauen, wissen, dass ich mich vegan ernähre, nur natürliche Kosmetik verwende und vor allem fair produzierte Mode trage. Das finden viele auch gut, aber können sich solche Kleidung selbst nicht leisten. Ich habe deshalb ein eigenes Label gegründet, es heißt V.age. Das produziert fair und umweltfreundlich, und die Produkte sind trotzdem recht günstig. Dafür sind meine Gewinne eher bescheiden (lacht). Natürlich mache ich auch nicht alles richtig. Mir geht es aber ums Grundsätzliche. Ich möchte einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass sich das System ändert. Alle zwei Monate eine neue Modekollektion in den Läden, das ist absurd. Es führt nur dazu, dass die Leute ihre Klamotten wegschmeißen.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit Fairtrade konkret aus?
Unser Ziel ist, die Thematik einer größeren Öffentlichkeit nahe zu bringen. Und ich mache das auf meine Art. Wenn ich mit Leuten über Ausbeutung und Menschenrechte spreche, dann ohne Fachausdrücke. Einfach so, dass es jeder versteht. Ich möchte auch zeigen, dass sich coole Mode und faire Produktionsbedingungen nicht ausschließen.

Du hast als Schauspielerin viel mit Mode und Kleidung zu tun. Bist du mit deiner Einstellung in der Branche eine Exotin?
Nein, unser Kostümbildner bei GZSZ achtet sehr darauf, dass alle Kleidung komplett vegan ist. Aber natürlich ist es auch eine Budgetfrage. Bei einem großen Ensemble sind die Möglichkeiten der Kostümabteilung begrenzt. Man müsste früher ansetzen. Große Filmproduktionsgesellschaften könnten sagen: Wir wollen als Produktion grüner werden, und deshalb bekommt die Kostümausstattung mehr Geld. Vielleicht könnte man auch mehr wieder verwerten. Wir müssen ja nicht immer die neuesten Klamotten tragen.

Wie sieht denn dein eigener Kleiderschrank aus?
Dort hängen viele Secondhand-Teile. Oft kaufe ich auch gebrauchte Mode aus unserer Produktion, wenn mir etwas gefällt. Und ich habe sehr viele fair produzierte Sachen. Für Events leihe ich mir bei den Designerinnen „Felder und Felder“ auch mal ein Galakleid aus, das aus nachhaltig produzierten Stoffen besteht. Eine tolle Sache, die nicht mal teuer ist. Ich finde, Mode sollte kein Luxusartikel sein.

Welchen Tipp hast du für Leute, die sich für faire Mode interessieren?
Es gibt wahnsinnig viele fair produzierende Marken, die kann man googeln. Und als nachhaltiges Pendant zu Amazon gibt es den Avocadostore. Niemand braucht Fast Fashion, um seinen eigenen tollen Stil zu finden.

Erfahre mehr auf

www.fairtrade-deutschland.de

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Fotos Indien, Familie Banchor und Textilfabrik: Ranita Roy / Fairtrade / Fairpicture

Fotos Anne Menden: Christoph Köstlin / Fairtrade

Kapitel 1 - Die Familie

Kapitel 2 - Die Fabrik

Kapitel 3 - Die Botschaft