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„Exponentieller Fortschritt beginnt jetzt“

Studie: Technology Vision 2023
INTERVIEW

Im Gespräch mit Tobias Regenfuß

„Exponentieller Fortschritt beginnt jetzt“

Tobias Regenfuß blickt erwartungsvoll auf den wachsenden Einsatz von KI-Tools. Ein Gespräch mit Accentures Technology Lead für die DACH-Region über vier technologische Trends, digitale Petrischalen und eine Aufgabe, die viele Tech-Profis noch gar nicht verinnerlicht haben.

Herr Regenfuß, die aktuelle Ausgabe der Technology Vision berichtet vom Verschmelzen der physischen mit der digitalen Welt. Diese Entwicklung wurde auch schon beim Internet of Things, bei Digitalen Zwillingen und dem Metaverse prophezeit. Ist die aktuelle Vorhersage ein Fall von „alter Trend neu verpackt“?

Nein, wir bewegen uns auf einem anderen Betrachtungslevel: Das, was wir in der aktuellen Studie beschreiben, ist die Verbindung von Atomen und Bits. Ganze Forschungs- und Entwicklungsprozesse lassen sich zunehmend digital abbilden, was sie radikal beschleunigt. So entstehen mehr Innovationen in kürzerer Zeit – und damit auch neue Geschäftsmodelle.

Konkret beschreibt die Studie in diesem Jahr vier Trends. Welche?

Um die Konvergenz von Atomen und Bits möglich zu machen, braucht es zuerst ein neues Identitätsmanagement im Digitalen: Maschinen, Prozesse oder auch Personen müssen eindeutig identifizierbar sein, um sicherzustellen, dass es sich um echte Daten handelt.
Das führt zu Trend zwei: die Datengenerierung und -verarbeitung. Dabei geht es um das transparente Nutzen und Teilen von Daten in Unternehmen. Firmen, die sich darum jetzt nicht kümmern, werden erleben, wie die Konkurrenz an ihnen vorbeizieht, weil sie das Potenzial ihrer Daten nutzt. Drittens sehen wir einen Boom von fortschrittlichen KI-Systemen, die aus vielen Daten konkrete Erkenntnisse gewinnen. Und viertens erwarten wir künftig eine viel stärkere Rückkopplung von Forschung und Wirtschaft als bisher.

Diese technologische Revolution in der Wissenschaft vergleichen Sie mit einem Urknall. Wie gerechtfertigt ist dieser Vergleich?

Wir erleben schon so etwas wie eine Initialzündung, indem Forschungsprozesse vollständig digitalisiert werden: Wenn ich beispielsweise einen Maschinen- oder Materialprüfstand digital nachbilden kann, habe ich nicht mehr nur den einen Prüfstand, sondern so viele, wie ich brauche. Rechenleistung lässt sich schneller beschaffen als eine zweite Werkshalle samt Prüfstand zu bauen. Dadurch brechen bestehende zeitliche Taktungen auf – und exponentieller Fortschritt beginnt.

Über welchen Zeitraum sprechen wir bei dieser Prognose?

Die Technology-Vision-Studie schaut immer fünf bis zehn Jahre in die Zukunft. Digitale Petrischalen gibt es aber schon heute. Über diesen Computational-Chemistry-Ansatz sind beispielsweise die Covid19-Impfstoffe bei Biontech und Moderna entwickelt worden.

Welche Branchen profitieren aus Ihrer Sicht am meisten von dieser Entwicklung?

Die Bereiche Pharma, Chemie, Material- und Agrarforschung sehe ich weit vorne.

Wo stehen Forschende in Europa?

Es gibt nicht mehr nur die Teilung in „Silicon Valley“ und den „Rest der Welt“. Europa ist inzwischen ebenso wie China im Bereich Science Tech gut vertreten. Eine Schwäche Europas ist allerdings der Transfer von der Forschung in die Wirtschaft: Es gibt hier deshalb auch keine großen Anbieter von Cloud-, KI- oder Weltraumtechnik-Lösungen. Hinzu kommt eine zaghafte Start-up-Förderung.

Was bedeutet das neue Innovationstempo für Unternehmen?

Die Einflugschneise für neue Konkurrenten ist durch die Digitalisierung breiter geworden. Das bedeutet, dass Unternehmen ihre Strategien in kurzen Abständen prüfen und anpassen müssen. Fünf-Jahres-Pläne haben ausgedient, Innovation ist zum Vorstandsthema geworden. Hinzu kommt das Thema Weiterbildung: Wie entwickle ich mein Personal weiter, wie gewinne und halte ich neue Talente? Da wartet viel Arbeit.

Sind eine etablierte Marke und eine entsprechende Unternehmensgröße dabei eher eine Last oder eine Chance?

Eine Chance! Marken geben Konsumenten Sicherheit und Vertrauen. Sie sind ein Leuchtturm in einem volatilen Umfeld. Außerdem haben sie eine Historie – und damit bestenfalls mehr Daten zur Verfügung als Newcomer im Markt. Aus ihnen holen sie die Erkenntnisse, die sie für ihren weiteren Erfolg brauchen.

Kann es zu viel Innovation in zu kurzer Zeit geben?

Ich glaube, dass wir im Kontext von generativer KI – künstliche Bilder, Videos und Töne – Mechanismen schaffen müssen, die einen zu schnellen Einsatz neuer Lösungen regulieren können. Es geht nicht darum, Fortschritt abzuwürgen, sondern sicherzustellen, dass Konsumenten bereit dafür sind.

Wie soll das gelingen?

Ich denke, die IT-, Daten- und Software-Experten erwartet in der Zukunft eine Aufgabe, die sie selbst noch nicht so verstanden und umarmt haben, nämlich der große gesellschaftliche Auftrag, neue Technologien zu erklären, einzuordnen und zu begleiten – nicht nur technologisch, sondern auch gesellschaftlich, in der Politik, in den Schulen. Diese Kompetenz müssen wir gemeinsam aufbauen und ebenso einfordern.

Vielen Dank für das Gespräch.

Atome treffen Bits: Hier geht es zur Technology Vision 2023 von Accenture.

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