(Quelle: Sparkasse)
Die Handlungsfähigkeit von Einkauf und Supply Chain Management (SCM) ist entscheidend für den Geschäftserfolg von produzierenden Unternehmen während und nach der Corona-Krise: Sie müssen die Versorgung sichern und damit die Lieferfähigkeit des Unternehmens aufrechterhalten.
Einkauf und Lieferkettenmanagement sind dazu noch Frühwarnindikatoren für Krisen: Lieferengpässe in China gehörten zu den ersten Auswirkungen der Corona-Pandemie, die auch Unternehmen in Europa spürten. Mit jedem neuen Krisenherd wuchs die Zahl der Unternehmen, die mit Störungen in der Lieferkette umgehen müssen.
Der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik in Österreich (BMÖ) hat österreichische und deutsche Unternehmen zu den Auswirkungen der Corona-Krise auf Einkauf und Supply Chain Management befragt. 63 Prozent der Unternehmen verzeichneten Ende März 2020 Störungen in der Lieferkette und eine unsichere Versorgungslage, bei elf Prozent war die Kette komplett unterbrochen. Mehr als 50 Prozent rechneten mit weiteren massiven Störungen.
Lieferengpässe bei vier von fünf Unternehmen
Die größten Probleme verzeichneten die Firmen im Liefermarkt Italien (64 Prozent), dem ersten europäischen Hotspot der Pandemie. An zweiter Stelle wird allerdings schon Europa in seiner Gesamtheit (34 Prozent) genannt, gefolgt von Spanien (31 Prozent). China nannte jedes fünfte Unternehmen (20 Prozent).
Die Auswirkungen: Bei vier von fünf befragten Unternehmen kam es zum Ende des ersten Quartals zu Lieferverzögerungen, bei jedem dritten Betrieb zu einem Lieferantenausfall. Mit Preiserhöhungen hatte ein Viertel der Unternehmen zu kämpfen.
Drei von vier Unternehmen reagierten mit Bevorratung auf die drohenden Lieferengpässe. Doch diese Ad-hoc-Maßnahme funktioniert nur kurzfristig, nicht aber wenn die Lieferkette längere Zeit unterbrochen wird. Auf die Suche nach Alternativlieferanten machte sich jedes zweite Unternehmen, ein Viertel baute sogleich neue Lieferanten auf.
„Die Digitalisierung der Volkswirtschaften hat durch die Corona-Krise einen Schub bekommen.“
Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank
Je 22 Prozent setzen verstärkt auf Insourcing oder Regional Sourcing, holen also Teile der Supply Chain zurück ins Unternehmen oder in die Region.
Die Umfrage zeige, mit welcher Bandbreite an Instrumenten Einkäufer und Supply Chain Manager wesentliche Beiträge zum Krisenmanagement leisten können, sagt Patrick Stöhr, Geschäftsführer der Stöhr Faktor Unternehmensberatung, die die Befragung gemeinsam mit dem BMÖ durchgeführt hat. Wichtig sei nun, nicht nur den Krisenmodus zu managen, sondern sich auch für die Zeit danach aufzustellen.
1. Interdisziplinär arbeiten
In der Corona-Krise haben viele Unternehmen Taskforces ins Leben gerufen. Vertreter aller Abteilungen stimmen sich in kurzen Intervallen ab. Der Bereich Supply-Chain-Management spielt dabei eine entscheidende Rolle. Betriebe lernen im Eiltempo interdisziplinäre Zusammenarbeit – und Agilität: Was am Vortag sinnvoll erschien, ist einen Tag später möglicherweise schon wieder überholt.
Diese in der Krise gezeigte Lern- und Anpassungsfähigkeit wird auch im Tagesgeschäft nach Corona helfen, wenn es gelingt, diesen Schwung mitzunehmen. Digitale Kollaborationsplattformen können dabei unterstützen.
2. Transparenz schaffen
Unternehmen sollten ihre Lieferanten für sämtliche Projekte im Blick haben, sie also mit wenigen Klicks visualisieren können. Oft liegen die Daten aber in verschiedenen technischen Systemen, mit jeweils unterschiedlichen Datenhoheiten.
Investitionen in die Harmonisierung von Daten zahlen sich schnell aus. Mit Process Mining lassen sich die komplexen Verbindungen und Prozessverläufe in der Lieferkette transparent darstellen – so wie sie tatsächlich ablaufen und wie sie idealerweise ablaufen sollten. Dieser Vergleich ermöglicht es, Optimierungspotenziale entlang der gesamten Lieferkette aufzudecken.
3. Risiken früh erkennen
Geschäftskritische Risiken und deren Auswirkungen auf die Lieferkette sollten kontinuierlich überwacht werden. Dafür braucht es ein Risikomanagement, das im besten Fall auch auf Smart Data aus externen Quellen zurückgreift. Dazu können Wetterdaten ebenso gehören wie Streikankündigungen, Hinweise auf politische Konflikte – oder eben Informationen über die Ausbreitung von Virusinfektionen.
Genauso wichtig sind Informationen über die Lieferanten und das Transportmanagement. Digitale Lösungen helfen Firmen dabei, besser mit Lieferanten und Logistikpartnern zusammenzuarbeiten. Dadurch können die Partner wiederum effizienter planen und Informationen über mögliche Engpässe frühzeitig an ihre Kunden übermitteln.
(Quelle: Sparkasse)
4. Lieferanten diversifizieren
Was für die Produktion von Atemschutzmasken und Grundstoffe für Medikamente gilt, gilt auch für andere Güter: Das Outsourcing ganzer Lieferketten nach Asien hat europäische Unternehmen in Zeiten von Corona verwundbar gemacht. Keine gute Idee, nur auf einen Lieferanten zu setzen oder nur mit Lieferanten aus einer Region zusammenzuarbeiten. Nicht nur Epidemien, auch Naturkatastrophen oder die Änderung von politischen oder gesetzlichen Rahmenbedingungen können schnell zu Störungen in der Lieferkette führen.
Unternehmen sollten ihre Lieferanten also diversifizieren, um das Risiko zu streuen. Dann haben Erschütterungen in einzelnen Liefermärkten keine so gravierenden Auswirkungen mehr.
5. Compliance-Risiken im Blick behalten
Auch wenn viele Entscheidungen in der Krise besonders schnell getroffen werden müssen, sollten Sie Ihr Unternehmen keinen neuen Compliance-Risiken aussetzen, etwa in Hinblick auf Korruption, Embargos oder die Verletzung von Menschenrechten.
Die Überwachung auch neuer Lieferanten ist daher zentral. Die Auslagerung bestimmter Prüf- und Kontrollaufgaben an einen Dienstleister kann hier helfen. Bestimmte Schritte lassen sich auch automatisieren.
Experteneinschätzung von Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank
„Arbeitsteilung bleibt das überlegene ökonomische Prinzip“
Werden sich Unternehmen von globalen Lieferketten verabschieden?
Das werden die Unternehmen sicherlich sehr unterschiedlich entscheiden, aber wir werden nicht zur kompletten Selbstversorgung übergehen. Arbeitsteilung bleibt das überlegene ökonomische Prinzip. Je nach Branche werden die Lieferketten in der Tendenz wohl etwas verkürzt werden.
Doch der Versuch, sich durch einen Komplettumbau der Lieferketten auf eine derartige Pandemie vorbereiten zu wollen, hätte nicht akzeptable Kosten und Produktivitätseinbußen zur Folge.
Verstärkt Corona protektionistische Tendenzen?
Grundsätzlich sollte die Corona-Pandemie nicht als Brandbeschleuniger für Protektionismus missbraucht werden. Ein konstruktiver globaler Geist würde im Gegenteil bei der Bewältigung der Krise helfen.
Doch ich vermute einen stärkeren Trend zum Regionalismus, der schon vor der Ausbreitung des Coronavirus angelegt war. Die drei großen Wirtschaftsräume Asien, Europa und Amerika könnten auch im Hinblick auf die Lieferketten regionale Schwerpunkte setzen.
Welche Chancen bietet Digitalisierung im Supply Chain Management?
Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass die Digitalisierung der Volkswirtschaften durch die Corona-Krise einen Schub bekommen hat. Eines der bekannten Gesichter der Digitalisierung, der 3D-Drucker, dürfte eine große Rolle für die Lieferketten spielen.
Tatsächlich bietet sich für Hochlohnländer wie jene in Europa nun wieder eine Möglichkeit, die Produktion von Vorprodukten selbst zu übernehmen, also die eigene Wertschöpfung zu erhöhen und die Abhängigkeit von Lieferketten zu verringern.
Was hilft noch dabei, Lieferketten krisenfest zu machen?
Die scheinbar einfache Antwort lautet: Lagerhaltung. Aber genau das kostet Geld, das wir bis zuletzt mit der Just-in-Time-Produktion haben sparen wollen. Es wird also zwischen den Risiken abreißender Lieferketten und den Kosten der zusätzlichen Lagerhaltung abzuwägen sein. Sicherlich wird auch helfen, mehr Lieferanten als bisher zu suchen, also durch Streuung, auch im regionalen Sinne, die Risiken beeinträchtigter Lieferketten zu verringern.
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