Mit Biss durch die Musikbranche

Mit Biss durch

die Musikbranche

Nach eigenen Regeln

Eine Serie präsentiert von

DJ, Musikerin, Produzentin, Wegbereiterin – mit ihrer Vielseitigkeit wirbelt Josi Miller die deutsche Kreativszene auf. Und hat sich dank Eigensinn und Intuition im männerdominierten Musikgeschäft durchgesetzt.

Wenn Josi Miller bei einem Auftritt als DJ die tanzende Menge vor sich sieht, wenn sie mit ihrem Sound die Energie der Menschen steuert – dann weiß sie, dass sich der Aufwand gelohnt hat. Der ermüdende Kampf als Frau in einem männerdominierten Musikgeschäft. Josi Miller hat sich durchgesetzt. Und, vielleicht noch wichtiger, sie hat es nach ihren eigenen Regeln geschafft. „Ich habe schon immer gemacht, wonach mir der Kopf steht“, sagt sie. Und deshalb wusste sie bereits als Kind, dass sie ein Leben für die Musik führen will. „Dass das nicht nur leicht werden würde, war mir klar. Aber das war egal, weil es keine Alternative für mich gab.“

Solange ich den nötigen Ausgleich habe, geben mir diese Wechsel die Energie, die mich antreibt.

Heute ist Josi Miller, geboren in Leipzig als Josephine Müller, längst eine Größe in der Berliner Szene und weit darüber hinaus. DJ, Produzentin, Podcasterin, Sängerin – die Musikerin ist zu vielseitig, um sich auf ein Sujet festzulegen. Seit Jahren zählt sie zu den gefragtesten DJs der Republik und begeistert auch als Produzentin mit ihren Sounds die Independent-Szene.

Bei ihrem Erfolg geholfen hat Josi Miller, dass sie immer an sich geglaubt hat. Sie lernte Klavier und Gitarre, bekam Gesangsunterricht – aber noch im Abitur urteilte die Musiklehrerin, ihre musikalische Leistung gehöre nicht aufs Gymnasium. Und Josi dachte sich: Jetzt erst recht. Tauschte klassische Klänge in elektronische. Verkaufte ihr Klavier, schaffte sich Plattenspieler an. Und brachte sich bei, wie man auflegt, mit Turntables die Leute begeistert. Weil sie noch keinen Führerschein hatte, fuhr ihr Vater sie zu Auftritten in den Clubs. Das war vor 16 Jahren.

Weibliche Vorbilder?
Gibt es kaum

Einmal im Musikgeschäft angekommen, galt es, die nächste Hürde zu überwinden. „Es hat nicht lange gedauert, bis ich gemerkt habe, wie männerdominiert die DJ-Szene ist“, sagt Josi. Weibliche Vorbilder gab es kaum. Umso wichtiger wurde für sie, sich den Raum als Frau in der Szene zu nehmen, ihn zu verteidigen. „Ich würde sagen, dass ich mich über die Jahre ordentlich durchgebissen habe. Und darauf bin ich stolz.“

Die Zusammenarbeit mit Frauen ist für sie heute wichtiger denn je: Zusammen mit Helen Fares produziert Josi Miller ihren eigenen Podcast „Homegirls“, mit Künstlerinnen wie der Sängerin Tamara Güclü entwickelt sie neue Sounds. Gibt DJ-Workshops und Studio-Sessions, in denen FLINTA-Personen das Auflegen lernen können – das Akronym steht für Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht binäre, trans und agender Personen. „In diesem Umfeld fühle ich mich einfach am wohlsten. Und es entsteht daraus so viel kreative Energie. Wir brauchen solche Räume unbedingt.“

Wer Josi Miller bei der Arbeit beobachtet, wer ihre enorme Dynamik spürt, fragt sich unwillkürlich: Kann man als einzelne Person mehrere Leben gleichzeitig leben? Wenn es nach alltäglichen Regeln geht: wohl kaum. Josi Miller allerdings kann. Vielleicht, weil Regeln sie generell nie besonders interessiert haben. Doch so kontrastreich Josis unterschiedliche Leben sind, sie gehören fest zusammen. Wie viele einzelne Klangfarben ergeben sie gemeinsam eine wilde, harmonische, bunte Melodie.

Kraft tanken in der Natur

Eines dieser Leben dreht sich um die Ekstase der Musik. Und das andere? Nach einem Auftritt muss Josi sich erden. In der Natur sein, auf ihrem Boot über die Spree schippern, sich um Tiere auf dem Gnadenhof kümmern. Manchmal findet sie in Trödelläden Instrumente, die sie begeistern, und bringt sich bei, sie zu spielen. So wie das alte Akkordeon, das sie zufällig entdeckt hat. In der Ruhe tankt sie die Energie, die sich nachts im musikalischen Rausch entladen darf. Das eine bedingt das andere.

Ich will dazu beitragen, diesen Raum auch für andere zu öffnen

Dann gibt es wieder Zeiten, in denen verbringt Josi Miller in ihrem Studio in Friedrichshain einen geregelten Achtstundentag. Widmet sich musikalischen Ideen, experimentiert mit Sounds und Samples, mal allein, mal mit anderen Künstlerinnen und Künstlern. Bis das nächste Leben ruft und sie mit Rappern auf Tour geht, monatelang in Hotels lebt, viel feiert, wenig schläft. „All das liebe ich total“, sagt sie. „Solange ich den nötigen Ausgleich habe, geben mir diese Wechsel die Kraft, die mich antreibt.“

Selbst produzierte Musik als nächster Schritt

Die vielleicht größte Wende markierte 2020. Denn als während der Corona-Pandemie draußen alles still wurde, wurde es in Josi laut: „Ich hatte schon lange den Wunsch, nicht nur die Musik von anderen aufzulegen, sondern auch meine eigene zu produzieren.“ Die plötzliche Zeit ohne Auftritte nahm sie als Zeichen für den nächsten Schritt. Nächtelang klickte sie sich durch YouTube, vernetzte sich mit Musikern und Künstlerinnen in aller Welt, lernte, tauschte sich virtuell aus. „Die schlechte Energie dieser Zeit habe ich damals in etwas Positives für mich umwandeln können.“

Ich arbeite nicht mit jedem zusammen

Und das hat sich gelohnt. Zusammen mit Stefan Heinrich ist sie seitdem auch als Duo „Import Export“ unterwegs. Der Erfolg mit der selbst produzierten Musik wuchs so rapide, dass sie kaum hinterherkamen. Heute hat sie mehr Anfragen für Kollaborationen, als sie bedienen kann. Und auch will. „Ich überlege mir sehr genau, was ich mache. Es muss in meinen moralischen Wertekanon passen. Mein Credo ist, dass ich nicht mit jedem zusammenarbeite“, sagt Josi Miller.

Muss sie auch nicht. Schließlich hat sie sich mehr als einmal bewiesen, dass Intuition und Selbstbewusstsein sie zuverlässig durch alle ihre Leben navigieren.

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