„Unser Einfluss ist größer als viele meinen“

Immer mehr institutionelle Anleger machen Druck auf Unternehmen, damit diese nachhaltiger arbeiten. Kaum ein Institut ist schon so lange an dem Thema dran wie Union Investment. Im Interview spricht Dr. Henrik Pontzen, Leiter ESG im Portfoliomanagement, über die Suche nach der perfekten Kennziffer, Vorlieben seiner Anleger und die Frage, wie viel sein Unternehmen wirklich bewirken kann.

5 Min. Lesezeit

Herr Pontzen, jedes Unternehmen will heute nachhaltig arbeiten und nachhaltig investieren. Springen Sie bei Union Investment da auf einen Trend auf?

Ganz im Gegenteil, eher haben wir den Trend mit eingeleitet: Unseren ersten Nachhaltigkeitsfonds haben wir (immerhin) bereits 1990 aufgelegt, damals vor allem auf Bestreben verschiedener Kirchenbanken, deren Geld wir seit langem verwalten. Heute haben wir 15 Nachhaltigkeitsanalysten und insgesamt 70 Vollzeitkräfte, die sich um nachhaltige Geldanlage kümmern. Zwei Drittel unserer Assets sind unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten angelegt.

Also haben sie schon vor 30 Jahren Nachhaltigkeit in den Fokus gerückt?

Damals war das noch etwas anderes. Den Kirchenbanken ging es vor allem darum, bestimmte Investments auszuschließen, Waffenhersteller zum Beispiel. Wir haben aber mit der Zeit gemerkt, dass das Thema Nachhaltigkeit sehr gut zu unserem genossenschaftlichen Ursprung passt, wir sind ja die Fondsgesellschaft der Genossenschaftsbanken.

Der Ruf der Finanzbranche hat seit der Finanzkrise sehr gelitten. Wie kann man die „Masters of the Universe“-Mentalität dieser Branche und den Fokus auf Nachhaltigkeit überhaupt zusammenbringen?

Zunächst einmal muss ich sagen, dass es diese Mentalität bei uns so nie gab. Aber Sie haben nicht Unrecht, gewisse Teilbereiche des Investmentgeschäfts werden nie nach diesen Kriterien funktionieren. Nachhaltiges Hochgeschwindigkeitstraden ist meiner Meinung nach unmöglich. Aber wir legen unser Geld sowieso eher langfristig an, dazu passt der Nachhaltigkeitsansatz sehr gut.

Über die Definition des Begriffs gibt es immer wieder Streit. Wie wollen Sie zweifelsfrei festlegen, welches Unternehmen denn nun nachhaltig ist und welches nicht?

Normalerweise hantiert die Finanzindustrie mit einfachen, klaren Kennziffern. Nehmen Sie zum Beispiel das Creditrating: Da schauen Sie nur, ob ein Unternehmen seine Schulden zurückzahlen kann. Nachhaltigkeit ist da komplexer, was aber nicht heißt, dass die Kennziffern willkürlich sind. Man muss sich dem Thema aber sowohl qualitativ als auch quantitativ nähern. Entsprechend sitzen in unserer Analyseabteilung nicht nur Volks- und Betriebswirte, sondern Menschen mit ganzen verschiedenen Hintergründen. Ich bin zum Beispiel Geisteswissenschaftler.

Aber was analysiert Ihr Team genau, um auf eine Nachhaltigkeitskennziffer zu kommen?

Wir schauen uns dazu fünf Dimensionen an. Das sind zunächst die drei Teilbereiche von ESG: Environment, Social und Governance. Bei der Umwelt schauen wir zum Beispiel auf den CO2-Fußabdruck, wie karbonintensiv ist die Industrie? Das Soziale betrifft vor allem Punkte wie Kinderarbeit und die Arbeitsbedingungen der Angestellten. Bei der Governance betrachten unsere Analysten Unternehmensbereiche wie das Risikomanagement und die Aufsicht. Ist der Aufsichtsrat unabhängig? Sitzen da Leute mit Ahnung von der Materie drin, die nicht parallel noch 15 andere Mandate halten?

Damit decken wir erst einmal die am weitesten verbreitete Definition von Nachhaltigkeit ab. Mit den zwei zusätzlichen Dimensionen wollen wir noch weiter gehen Das ist zum einen etwas, was ich unseren Kontroversen-Score nenne. Dazu analysieren wir sämtliche Berichterstattung zum Unternehmen und schauen, wie häufig die Firma in Skandale verwickelt ist. Denn die schönsten ESG-Vorgaben helfen ja nichts, wenn am Ende herauskommt, dass sich das Unternehmen nicht an sie gehalten hat. Und dann beziehen wir noch mit ein, ob das Geschäftsmodell eines Unternehmens an und für sich nachhaltig ist. Wenn wir einen Energieproduzenten analysieren, der 30 Prozent seiner Leistung aus regenerativen Energien bezieht, kriegt er in diesem Bereich also 30 von 100 Punkten.

Resultieren diese umfassenden Analysen auch darin, dass Sie gewisse Unternehmen ausschließen?

Das entspricht dem Nachhaltigkeitsansatz, den wir Anfang der Neunzigerjahre für die Kirchenbanken entwickelt haben. Aber mittlerweile halte ich den Ausschluss allein nicht mehr für erfolgsversprechend. Anstatt ein Unternehmen pauschal auszuschließen sollte man versuchen, das Gespräch zu suchen und die Unternehmen zu Veränderungen zu bewegen. Wobei es auch für uns Grenzen gibt. Wir investieren nicht in Atomkraft und Kohleförderung, auch geächtete Waffen sind für uns ein No-Go.

Wie viel Einfluss haben Sie in der Realität auf die Geschäftspraktiken der Unternehmen? Sie sind oft nur ein Investor unter vielen.

Unser Einfluss ist viel größer, als Außenstehende oft meinen. Aber gerade bei großen Unternehmen hilft es, sich mit anderen Investoren zusammenzuschließen. Im Konzert mit anderen Nachhaltigkeitsinvestoren haben wir es zum Beispiel geschafft, dass Shell sich auf das 2-Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen verpflichtet hat. Wir konnten Ryanair dazu drängen, seine CO2-Bilanz offenzulegen. Und wir haben bei einigen deutschen Automobilherstellern durchgesetzt, dass sie bei der Förderung seltener Erden auf die Arbeitsbedingungen vor Ort achten, etwa im Kongo.

Aber allein haben Sie keine Chance?

Wenn wir wollen, dann schon. Immerhin verwalten wir das Wertpapiervermögen von 4,5 Millionen Bundesbürgern. Bei Adidas etwa haben wir entschieden darauf hingewirkt die Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern. Da ist Union Investment aktuell mit einem sehr großen dreistelligen Millionenbetrag beteiligt, das gibt uns einiges an Einfluss.

Wollen denn überhaupt alle dieser 4,5 Millionen Menschen, dass Ihr Geld nach so strengen Nachhaltigkeitskriterien angelegt wird?

Wenn Sie einen Anleger fragen, dann wird der kaum sagen, dass ihm Umweltaspekte und ähnliches egal sind. Das war auch schon früher so. Aber gerade in den vergangenen Jahren hat sich viel getan, bei den meisten Menschen hat sich ein Bewusstsein für das Thema entwickelt. Früher hat vielleicht einer von 20 Anlegern darauf gepocht, dass wir für ihn nachhaltig investieren. Mittlerweile ist es eher jeder zweite. Und ab dem übernächsten Jahr müssen alle Anlageberater ihre Kunden nach ihren Nachhaltigkeitspräferenzen fragen, vergleichbar zur Frage nach der Risikobereitschaft heute. Das wird den Anteil noch einmal nach oben treiben.

Zur Person: Henrik Pontzen ist seit zwei Jahren Abteilungsleiter ESG im Portfoliomanagement der Union Investment. Zuvor war er unter anderem für HSBC und die Unternehmensberatung Capco tätig. Pontzen hat Philosophie und Volkswirtschaftslehre in Bonn studiert und einen Doktor in Risikoethik von der Fernuniversität Hagen.

Die Süddeutsche Zeitung ist weder für den Inhalt der Anzeige noch die darin enthaltenen Verlinkungen noch für ggf. angegebene Produkte verantwortlich.