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Zukunftsvisionen
der Medizin

Ein Expertenblick auf kommende Innovationen und Herausforderungen

Hoher Kostendruck und gleichzeitig ein hohes Maß an Innovationskraft – das Gesundheitswesen steht derzeit vor großen Herausforderungen und Chancen zugleich. Wie werden sich die Medizin und die Gesundheitsbranche in den kommenden Jahren verändern? KI, Robotik, neue Medikamente, Telemedizin, datengestützte Prävention – der Gesundheitssektor steht vor einem radikalen technologischen Wandel. Wir haben Persönlichkeiten aus der Gesundheits- und Tech-Branche gefragt, wie sie die Medizin der Zukunft sehen, welche Innovationen die Gesundheitsversorgung ändern werden, aber auch, welche Hürden es zu nehmen gilt.


Medizin der Zukunft, was heißt das eigentlich? Spekulationen darüber gibt es viele. Sind im Jahr 2050 unablässig Nanoroboter auf dem Weg durch unsere Körper und melden verdächtige Signale an eine Gesundheitszentrale? Stellen 3D-Bioprinter nach Bedarf passgenaue neue Organe her? Die Entwicklung von Forschung und Technik verläuft derart rasant, dass heute niemand beurteilen kann, was in zwei oder drei Jahrzehnten möglich sein wird. Wir konzentrieren uns deshalb auf Entwicklungen, die bereits heute im Gange sind und die realistische Zukunftsperspektiven eröffnen.

Neue Technologien, faszinierende Perspektiven

In diesem Beitrag berichten Fachleute, welche spannenden Innovationen, etwa im Bereich Künstliche Intelligenz und Robotik, schon bald den medizinischen Alltag bestimmen werden. Auch fragen wir nach neuen Trends wie Longevity und nach dem grundsätzlichen Wandel des Begriffs Gesundheit in der Gesellschaft. Nicht zuletzt geht es um eine Einschätzung, welche ethischen Fragen und womöglich Konflikte in der Zukunft der Medizin zu erwarten sind.

Neue Technologien bieten faszinierende Perspektiven für die gesamte Medizinbranche – für Ärzte, die Gesundheitswirtschaft, die Politik und nicht zuletzt die Patientinnen und Patienten. Aber es reicht nicht, dieses Potential zu erkennen, sagt die Gesundheitsökonomin Ariel Dora Stern. Bei der Entwicklung neuer Produkte gilt es, neue Ansätze zu verfolgen.

„Virtuelle Betreuung von Patienten“ Ariel Stern über die Chancen neuer Produkte und Tools für Forschung und Therapie
„Dank neuer digitaler Technologien haben wir die Möglichkeit, ganze Aspekte der Gesundheitsversorgung und der medizinischen Forschung vollständig neu zu überdenken. Von der Art und Weise, wie klinische Studien durchgeführt werden, bis hin zur teilweise komplett virtuellen Betreuung von Patienten mit chronischen Erkrankungen und den dafür eingesetzten Tools – wir müssen effizientere und patientenzentriertere Ansätze bei der Entwicklung neuer medizinischer Produkte und der Bereitstellung von Gesundheitsleistungen verfolgen. Dies wird jedoch nur funktionieren, wenn wir neue Technologien mit der Bereitschaft kombinieren, bestehende Prozesse grundlegend zu überdenken.“

Die Gesundheitsökonomin Ariel Dora Stern ist Alexander-von-Humboldt-Professorin. Sie lehrt und forscht am Digital Health Cluster des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) in Potsdam.
„Dank neuer digitaler Technologien haben wir die Möglichkeit, ganze Aspekte der Gesundheitsversorgung und der medizinischen Forschung vollständig neu zu überdenken. Von der Art und Weise, wie klinische Studien durchgeführt werden, bis hin zur teilweise komplett virtuellen Betreuung von Patienten mit chronischen Erkrankungen und den dafür eingesetzten Tools – wir müssen effizientere und patientenzentriertere Ansätze bei der Entwicklung neuer medizinischer Produkte und der Bereitstellung von Gesundheitsleistungen verfolgen. Dies wird jedoch nur funktionieren, wenn wir neue Technologien mit der Bereitschaft kombinieren, bestehende Prozesse grundlegend zu überdenken.“

Die Gesundheitsökonomin Ariel Dora Stern ist Alexander-von-Humboldt-Professorin. Sie lehrt und forscht am Digital Health Cluster des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) in Potsdam.
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Neue Technologien können die medizinische Versorgung entscheidend voranbringen. Aber bei aller Begeisterung für die neuen Möglichkeiten sollte eines nicht übersehen werden: Es geht immer um den Menschen. Um Verantwortung für eine menschliche Medizin, um „Tech for Good“ – so formuliert es Lara Sophie Bothur von der Unternehmensberatung Deloitte. Der reizvolle Gedanke neuer Medizintechnologie ist ja nicht, Ärzte zu ersetzen, sondern eine bessere Gesundheitsversorgung der gesamten Bevölkerung zugänglich zu machen. So werden viel häufigere Check-ups möglich und bezahlbar – und damit die Perspektive, Krankheiten früher zu erkennen.

„Technologien nicht nur entwickeln, sondern sie integrieren“ Lara Sophie Bothur über „Tech for Good“ und die Zukunft der Medizintechnologie
„‚Tech for Good‘ steht für den verantwortungsvollen Einsatz moderner Technologien, um echte Verbesserungen für Menschen zu erreichen. Dabei geht es nicht nur um Datenschutz oder Telemedizin, sondern um weit mehr: digitalen Zugang zu Gesundheitsdiensten, personalisierte Prävention und effiziente Versorgungsprozesse. Wearables wie Smartwatches überwachen kontinuierlich Vitalparameter, was eine frühzeitige Erkennung von Gesundheitsrisiken ermöglicht. Digitale Gesundheitsanwendungen bieten den Menschen nicht nur Informationen, sondern begleiten sie aktiv auf dem Weg zu einem gesünderen Leben. Digitale Innovationen steigern somit die Effizienz und fördern die Gesundheitsgerechtigkeit, also den fairen Zugang zu moderner Gesundheitsversorgung. Angesichts der demographischen Veränderungen und der wachsenden Belastung im Gesundheitssystem müssen wir innovative Technologien nicht nur entwickeln, sondern klug integrieren. Und in einer Welt, die sich rasant verändert, müssen wir sicherstellen, dass technologische Fortschritte dem Wohl der Menschen dienen.“

Lara Sophie Bothur ist Voice for Innovation & Corporate Tech Influencer in Europe bei der Unternehmensberatung Deloitte
„‚Tech for Good‘ steht für den verantwortungsvollen Einsatz moderner Technologien, um echte Verbesserungen für Menschen zu erreichen. Dabei geht es nicht nur um Datenschutz oder Telemedizin, sondern um weit mehr: digitalen Zugang zu Gesundheitsdiensten, personalisierte Prävention und effiziente Versorgungsprozesse. Wearables wie Smartwatches überwachen kontinuierlich Vitalparameter, was eine frühzeitige Erkennung von Gesundheitsrisiken ermöglicht. Digitale Gesundheitsanwendungen bieten den Menschen nicht nur Informationen, sondern begleiten sie aktiv auf dem Weg zu einem gesünderen Leben. Digitale Innovationen steigern somit die Effizienz und fördern die Gesundheitsgerechtigkeit, also den fairen Zugang zu moderner Gesundheitsversorgung. Angesichts der demographischen Veränderungen und der wachsenden Belastung im Gesundheitssystem müssen wir innovative Technologien nicht nur entwickeln, sondern klug integrieren. Und in einer Welt, die sich rasant verändert, müssen wir sicherstellen, dass technologische Fortschritte dem Wohl der Menschen dienen.“

Lara Sophie Bothur ist Voice for Innovation & Corporate Tech Influencer in Europe bei der Unternehmensberatung Deloitte
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Künstliche Intelligenz beim Arzt? Wird bald Routine

Wo steuert der Einsatz neuer Technologien in der Medizin hin, was wird in naher Zukunft noch alles möglich sein? Sicher ist: Die Revolution, die Künstliche Intelligenz und Robotik in der Medizin und in der gesamten Gesundheitsbranche auslösen, hat gerade erst begonnen. Schon heute übernehmen KI-gesteuerte Roboter im Operationssaal Assistenzaufgaben und helfen Ärztinnen und Ärzten dabei, Diagnosen zu stellen. Schon heute kann KI große Datenmengen auswerten und so etwa in der bildgebenden Diagnostik oder bei der Erforschung neuer Behandlungsmethoden unterstützen. Und das wird in Zukunft nicht nur möglich sein, sondern zur Routine bei jedem Arztbesuch, bei jeder Operation werden. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, zieht in seiner Bewertung der Künstlichen Intelligenz im medizinischen Alltag einen kühnen Vergleich heran.

"Einer der größten Fortschritte seit der Erfindung des Penicillins" Jens Baas über die Folgen von KI in der Medizin
„Provokativ könnte man sagen: In wenigen Jahren wird es ein Kunstfehler sein, eine Diagnose zu stellen, ohne vorher eine KI zu fragen. Trotzdem werden es die Ärzte sein, die entscheiden müssen. Der Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Medizin ist der größte Fortschritt seit der Erfindung des Penicillins. Wenn wir auf viele Daten zugreifen und diese von einer KI auswerten lassen können, wird das die Versorgung der Menschen grundlegend verbessern.“

Jens Baas ist Humanmediziner und Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse.
„Provokativ könnte man sagen: In wenigen Jahren wird es ein Kunstfehler sein, eine Diagnose zu stellen, ohne vorher eine KI zu fragen. Trotzdem werden es die Ärzte sein, die entscheiden müssen. Der Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Medizin ist der größte Fortschritt seit der Erfindung des Penicillins. Wenn wir auf viele Daten zugreifen und diese von einer KI auswerten lassen können, wird das die Versorgung der Menschen grundlegend verbessern.“

Jens Baas ist Humanmediziner und Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse.
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Künstliche Intelligenz als unterstützende Technologie ist das eine. Ein Blick in die Zukunft zeigt KI als Schlüssel zu noch weitergehenden Funktionen. Zum Beispiel bei der Entwicklung eines Patienten-Zwillings. Man versteht darunter ein Abbild der eigenen Persönlichkeit und aller relevanten Gesundheitsdaten, ergänzt um Informationen der KI zu möglichen Diagnosen und Therapien. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz, so die Idee, können Menschen zukünftig einen Avatar von sich selbst erstellen – ganz einfach, auf dem Smartphone.

Sind wir nun doch in der Science-Fiction gelandet? Keineswegs. Spezialisten bei Siemens Healthineers forschen an genau dieser Technologie. Elisabeth Staudinger, Mitglied des Vorstands des Medizintechnik-Herstellers, sieht großes Potential in der Entwicklung von „Patient Twinning“. Zum Beispiel könnten damit Krankheitsverläufe simuliert und individuelle Therapien festgelegt werden.

„Krankheiten früher erkennen, Verläufe simulieren, Therapien festlegen“ Elisabeth Staudinger über die Zukunftstechnologie „Patient Twinning“
„Digitale Zwillinge können dem medizinischen Personal laufend Zugang zu allen relevanten Informationen ermöglichen und im Zusammenspiel mit Algorithmen und Künstlicher Intelligenz dabei unterstützen, Krankheiten früher zu erkennen, Verläufe zu simulieren und individuelle Therapien festzulegen. Teile dieser Entwicklung sind heute schon Realität. Durch ständige Innovationen in den Bereichen der Diagnostik sowie der Verarbeitung und Vernetzung großer Datenmengen nähern wir uns Stück für Stück der Vorstellung umfassender digitaler Zwillinge von Patientinnen und Patienten.“

Elisabeth Staudinger ist Mitglied des Vorstands von Siemens Healthineers und unter anderem für die Themen Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Patient Twinning verantwortlich.
„Digitale Zwillinge können dem medizinischen Personal laufend Zugang zu allen relevanten Informationen ermöglichen und im Zusammenspiel mit Algorithmen und Künstlicher Intelligenz dabei unterstützen, Krankheiten früher zu erkennen, Verläufe zu simulieren und individuelle Therapien festzulegen. Teile dieser Entwicklung sind heute schon Realität. Durch ständige Innovationen in den Bereichen der Diagnostik sowie der Verarbeitung und Vernetzung großer Datenmengen nähern wir uns Stück für Stück der Vorstellung umfassender digitaler Zwillinge von Patientinnen und Patienten.“

Elisabeth Staudinger ist Mitglied des Vorstands von Siemens Healthineers und unter anderem für die Themen Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Patient Twinning verantwortlich.
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Ein langes Leben ohne Krankheiten

Wirksamere Prävention, bessere Diagnostik – wir alle möchten doch bis ins hohe Alter gesund bleiben. Genau dieses Ziel verfolgt ein aktueller Trend, der unter dem Begriff „Longevity“ für Diskussionen sorgt. Welche Faktoren sind entscheidend, um ein langes Leben ohne Krankheiten zu führen? Hängt es vor allem an den genetischen Anlagen, oder hat der Lebensstil, den wir pflegen, den größeren Einfluss? In den USA ist der Begriff Longevity, eine Kombination aus den lateinischen Wörtern longus (lang) und vita (Leben), schon länger etabliert, in vielen Fachzeitschriften werden Forschungsergebnisse vorgestellt. Auch bei uns nimmt die Entwicklung gerade Fahrt auf. Kati Ernst beschäftigt sich schon länger mit dem Phänomen Longevity. Die Unternehmerin und Vorstandsmitglied des Deutschen Startup-Verbands ist davon überzeugt, dass wir selbst eine Menge dazu beitragen können, um lange gesund zu leben.

„Nicht auf die Gene, auf den Lebensstil kommt es an“ Kati Ernst über die Voraussetzungen für ein längeres, besseres Leben
„Longevity strebt nicht nur nach einem möglichst langen, sondern vor allem nach einem gesunden, erfüllten und selbstbestimmten Leben. Während die wachsende pharmazeutisch-medizinische Forschung unsere Zellen in einigen Jahrzehnten vielleicht verjüngen lassen wird, können wir schon heute selbst sehr viel für unsere Longevity tun – denn diese wird zu über 80 Prozent von unserem Lebensstil beeinflusst und nicht zum Beispiel von unseren Genen. Die Verbreitung des Wissens, wie wir durch kleine und größere Veränderungen unseren Alltag und durch gezielte Interventionen unsere Lebensqualität und -dauer erhöhen können, muss dazu beitragen, dass die breite Gesellschaft von diesen Erkenntnissen profitiert.“

Kati Ernst ist Mitgründerin und Co-CEO der Female Bodywear Company ooia. Sie gilt als Longevity-Expertin und ist zudem Vorstandsmitglied des Deutschen Startup- Verbands.
„Longevity strebt nicht nur nach einem möglichst langen, sondern vor allem nach einem gesunden, erfüllten und selbstbestimmten Leben. Während die wachsende pharmazeutisch-medizinische Forschung unsere Zellen in einigen Jahrzehnten vielleicht verjüngen lassen wird, können wir schon heute selbst sehr viel für unsere Longevity tun – denn diese wird zu über 80 Prozent von unserem Lebensstil beeinflusst und nicht zum Beispiel von unseren Genen. Die Verbreitung des Wissens, wie wir durch kleine und größere Veränderungen unseren Alltag und durch gezielte Interventionen unsere Lebensqualität und -dauer erhöhen können, muss dazu beitragen, dass die breite Gesellschaft von diesen Erkenntnissen profitiert.“

Kati Ernst ist Mitgründerin und Co-CEO der Female Bodywear Company ooia. Sie gilt als Longevity-Expertin und ist zudem Vorstandsmitglied des Deutschen Startup- Verbands.
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Die Longevity-Bewegung ist auch für einen weiteren Trend im Gesundheitswesen ein gutes Beispiel: In der gesellschaftlichen Diskussion hat sich der Begriff „Gesundheit“ seit einigen Jahren gewandelt. Gesundheit ist zum Synonym für hohe Lebensqualität geworden, durchdringt alle Bereiche, definiert unseren Lebensstil. Das in Frankfurt und Wien ansässige „The Future:Project“ beschreibt eine entscheidende Entwicklung mit dem Begriff „Holistic Health“. Heißt: Gesundheit wird nicht isoliert als das Wohlbefinden von Körper und Geist begriffen, sondern im Gesamtzusammenhang von Mensch und Umwelt, zu dem letztlich die Gesundheit des ganzen Planeten zählt. Zukunftsforscher Matthias Horx beschäftigt sich seit vielen Jahren mit neuen Entwicklungen in der Gesundheitsbranche. Auch den Begriff „Holistic Health“ hat er geprägt.

„Medizin muss den ganzen Menschen wahrnehmen“ Zukunftsforscher Matthias Horx über Holistic Health und die Zukunft der Gesundheitsbranche
„Unser Gesundheitssystem hat sich in einer langen Entwicklung zu einem recht effektiven Krankheitsheilungssystementwickelt. Man sollte die Leistungen dieses Systems nicht unterschätzen und schlechtreden. Allerdings sind grundlegende Megatrends dabei, das System zu dekonstruieren. Der demographische Wandel, die Alterung, der technische Fortschritt in der Medizin – all das sprengt die Kapazitäten auf Dauer. Im nächsten Schritt müssen wir Medizin neu konfigurieren: als vorausdenkende, an Krankheitsvermeidung und Gesunderhaltung orientierte Instanz, die den ganzen Menschen wahrnimmt und das gesamte Leben begleitet. Dafür gibt es bereits viele gute Ansätze, die sich aber noch nicht organisch zusammenfügen.“

Matthias Horx ist Publizist, Zukunftsforscher und Gründer des „The Future:Project“.
„Unser Gesundheitssystem hat sich in einer langen Entwicklung zu einem recht effektiven Krankheitsheilungssystementwickelt. Man sollte die Leistungen dieses Systems nicht unterschätzen und schlechtreden. Allerdings sind grundlegende Megatrends dabei, das System zu dekonstruieren. Der demographische Wandel, die Alterung, der technische Fortschritt in der Medizin – all das sprengt die Kapazitäten auf Dauer. Im nächsten Schritt müssen wir Medizin neu konfigurieren: als vorausdenkende, an Krankheitsvermeidung und Gesunderhaltung orientierte Instanz, die den ganzen Menschen wahrnimmt und das gesamte Leben begleitet. Dafür gibt es bereits viele gute Ansätze, die sich aber noch nicht organisch zusammenfügen.“

Matthias Horx ist Publizist, Zukunftsforscher und Gründer des „The Future:Project“.
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IT-Systeme müssen der Menschheit dienen

Medizin als auf Gesunderhaltung orientierte Instanz – was Matthias Horx fordert, bedeutet eine stärkere Ausrichtung auf Prävention. Krankheiten vermeiden und mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz bestehende Risiken erkennen – das sind hier die Stichworte. Aber ist es eigentlich ethisch vertretbar, Menschen darüber zu informieren, dass sie möglicherweise in zehn Jahren schwer an Parkinson oder Krebs erkranken werden? Ist die Entwicklung neuer Technologien in der Medizin – bei aller Begeisterung in der Fachwelt – tatsächlich am Wohl der Menschen orientiert? Oder dient sie in erster Linie ökonomischen Interessen? Mit solchen ethischen Fragen beschäftigt sich die Wirtschaftsinformatikerin Sarah Spiekermann-Hoff. Sie plädiert dafür, sich bei jedem neu entwickelten System darüber Gedanken zu machen, welche Auswirkungen es auf Umwelt und Gesellschaft hat.

„Die menschliche Wertschöpfung steigern“ Sarah Spiekermann-Hoff plädiert dafür, bei neuen Technologien nicht nur auf ökonomische Gesichtspunkte zu achten
„IT-Systeme müssen nicht nur benutzerfreundlich und getestet sein, sondern auch dem Fortschritt der Menschheit dienen. Es geht darum, den Ingenieuren und Software-Entwicklern die sozialen und menschlichen Herausforderungen bewusst zu machen, die sich bei ihrer Arbeit stellen. Wichtig ist, dass man sich bei jedem System, das man entwickelt, die Frage stellt, welche Auswirkungen es auf die betroffenen Menschen, die Natur, die Umwelt und die Gesellschaft hat. Und dann muss man sich fragen, wo werden hier möglicherweise Werte untergraben oder menschliche Verhaltensweisen, die wir eigentlich schätzen? Nun greifen Ingenieure nicht bewusst unsere Werte an und untergraben sie. Die Entwicklungsteams arbeiten einfach Product-Roadmaps ab, die aus ökonomischen Gesichtspunkten heraus getrieben sind: Produktivität, Effizienzgewinn, Umsatzsteigerung. Aber sie sind häufig nicht mit dem Ziel entwickelt worden, eine individuelle und soziale Wertschöpfung zu erreichen. Diese gilt es zu steigern, zu fördern und zu schützen. Das wird Geschäftsmodelle und die Art und Weise unseres Wirtschaftens fundamental verändern.“

Sarah Spiekermann-Hoff ist Wirtschaftsinformatikerin. Sie leitet den Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Gesellschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien.
„IT-Systeme müssen nicht nur benutzerfreundlich und getestet sein, sondern auch dem Fortschritt der Menschheit dienen. Es geht darum, den Ingenieuren und Software-Entwicklern die sozialen und menschlichen Herausforderungen bewusst zu machen, die sich bei ihrer Arbeit stellen. Wichtig ist, dass man sich bei jedem System, das man entwickelt, die Frage stellt, welche Auswirkungen es auf die betroffenen Menschen, die Natur, die Umwelt und die Gesellschaft hat. Und dann muss man sich fragen, wo werden hier möglicherweise Werte untergraben oder menschliche Verhaltensweisen, die wir eigentlich schätzen? Nun greifen Ingenieure nicht bewusst unsere Werte an und untergraben sie. Die Entwicklungsteams arbeiten einfach Product-Roadmaps ab, die aus ökonomischen Gesichtspunkten heraus getrieben sind: Produktivität, Effizienzgewinn, Umsatzsteigerung. Aber sie sind häufig nicht mit dem Ziel entwickelt worden, eine individuelle und soziale Wertschöpfung zu erreichen. Diese gilt es zu steigern, zu fördern und zu schützen. Das wird Geschäftsmodelle und die Art und Weise unseres Wirtschaftens fundamental verändern.“

Sarah Spiekermann-Hoff ist Wirtschaftsinformatikerin. Sie leitet den Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Gesellschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien.
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„In Zukunft wird überall KI drinstecken“ Innovationsforscher Nick Sohnemann über Veränderungen im Gesundheitssystem

Herr Sohnemann, wie wird sich aus Ihrer Sicht die Gesundheitsbranche in den kommenden Jahren verändern?

In dieser Branche tut sich gerade sehr viel, dauernd entstehen neue digitale Angebote. Die wichtigsten Themen sind für mich: Die Lebensdauer der Menschen verlängert sich enorm. Prävention wird immer wichtiger. Künstliche Intelligenz dringt in alle Bereiche vor. Forschung wird individuell auf jede Gruppe zugeschnitten, weil Daten ausgewertet werden können. Und Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehen stark zurück, weil es möglich ist, Übergewicht mit neuen Medikamenten zu bekämpfen.

Wo wird KI die wichtigste Rolle spielen?

KI wird ein unterstützendes System für Ärztinnen und Ärzte sein, und das Interessante daran ist, dass sie die Mediziner auf Dinge aufmerksam machen wird, die sie bisher nicht gesehen haben. Zweitens wird KI den Kundenservice viel besser organisieren. Und sie wird auf Dauer den Patientinnen und Patienten auch als Gesprächspartner zum Beispiel über mögliche Therapien zur Verfügung stehen.

Könnte es bei all dem Hype um KI nicht auch parallel zu einem Gegentrend kommen? Die Techniker Krankenkasse beispielsweise sagt ganz klar, dass an ihren Servicetelefonen keine Maschinen, sondern Menschen sitzen.

Das ist gut möglich. Wenn jeder Kontaktpunkt für die Leute eine KI ist, wächst die Sehnsucht nach echten Menschen. Aber letztlich ist KI eine Infrastrukturtechnologie, wie elektrischer Strom. Als der Strom erfunden wurde, dachten alle: Strom, das ist Licht. Heute denken alle: KI, das ist so etwas wie ChatGPT. In Zukunft wird KI aber überall drinstecken.

Viele fürchten, dass der Mensch quasi durch die Technik ersetzt wird. Ist eine friedliche Koexistenz von Mensch und KI überhaupt möglich?

Ja, sicher. In Zukunft werde ich in der Arztpraxis meine Laborwerte angeben, die KI wird sie analysieren, und der Arzt oder die Ärztin nutzt die Ergebnisse. Das Gespräch mit mir führt nach wie vor der Mensch. Aber klar, es braucht dann weniger Mitarbeitende in den Labors.

Wie werden sich die Krankenkassen verändern?

Bisher werden die Kassen vor allem dann wahrgenommen, wenn man krank ist. In Zukunft werden Krankenkassen sich zu Lifestyle-Marken wandeln. Die TK geht ja heute schon in diese Richtung. Sie bietet Lebenshilfe zu allen Themen der Gesundheit und eines gesunden Lebensstils, zur Bedeutung von Ernährung und Sport. Notwendig wird dafür sein, dass es einen besseren Zugang zu Gesundheitsdaten gibt. Dann könnte man auch sinnvollere Präventionsangebote machen.

Also nicht Prävention mit der Gießkanne, sondern individuell auf jede Patientin und jeden Patienten zugeschnitten?

Genau. Meine Vision ist, dass ich einmal einen Gentest mache, und dann werde ich mein Leben lang vom Gesundheitssystem präventiv so betreut, wie es genau zu mir passt, zu meinen Veranlagungen und Risiken.

Nick Sohnemann ist Gründer und Managing Director der Hamburger Innovationsagentur „Future Candy“. Er berät Unternehmen zu Themen der digitalen Transformation.

Über Die Techniker

Mit rund 11 Millionen Versicherten ist die Techniker Krankenkasse (TK) die größte Krankenkasse in Deutschland. Die rund 15.000 Mitarbeitenden setzen sich tagtäglich dafür ein, den TK-Versicherten eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung zu gewährleisten. Mit zahlreichen Innovationen – wie zum Beispiel der elektronischen Gesundheitsakte TK-Safe – ist es das Ziel der TK, die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzutreiben und ein modernes Gesundheitssystem maßgeblich mitzugestalten. Focus-Money zeichnete die Techniker bereits zum 17. Mal in Folge als „Deutschlands beste Krankenkasse“ (Focus Money 7/2023) aus.

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