Herr Sohnemann, wie wird sich aus Ihrer Sicht die Gesundheitsbranche
in den kommenden Jahren verändern?
In dieser Branche tut sich gerade sehr viel, dauernd entstehen neue
digitale Angebote. Die wichtigsten Themen sind für mich: Die
Lebensdauer der Menschen verlängert sich enorm. Prävention wird
immer wichtiger. Künstliche Intelligenz dringt in alle Bereiche vor.
Forschung wird individuell auf jede Gruppe zugeschnitten, weil Daten
ausgewertet werden können. Und Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehen
stark zurück, weil es möglich ist, Übergewicht mit neuen
Medikamenten zu bekämpfen.
Wo wird KI die wichtigste Rolle spielen?
KI wird ein unterstützendes System für Ärztinnen und Ärzte sein, und
das Interessante daran ist, dass sie die Mediziner auf Dinge
aufmerksam machen wird, die sie bisher nicht gesehen haben. Zweitens
wird KI den Kundenservice viel besser organisieren. Und sie wird auf
Dauer den Patientinnen und Patienten auch als Gesprächspartner zum
Beispiel über mögliche Therapien zur Verfügung stehen.
Könnte es bei all dem Hype um KI nicht auch parallel zu einem
Gegentrend kommen? Die Techniker Krankenkasse beispielsweise sagt
ganz klar, dass an ihren Servicetelefonen keine Maschinen, sondern
Menschen sitzen.
Das ist gut möglich. Wenn jeder Kontaktpunkt für die Leute eine KI
ist, wächst die Sehnsucht nach echten Menschen. Aber letztlich ist
KI eine Infrastrukturtechnologie, wie elektrischer Strom. Als der
Strom erfunden wurde, dachten alle: Strom, das ist Licht. Heute
denken alle: KI, das ist so etwas wie ChatGPT. In Zukunft wird KI
aber überall drinstecken.
Viele fürchten, dass der Mensch quasi durch die Technik ersetzt
wird. Ist eine friedliche Koexistenz von Mensch und KI überhaupt
möglich?
Ja, sicher. In Zukunft werde ich in der Arztpraxis meine Laborwerte
angeben, die KI wird sie analysieren, und der Arzt oder die Ärztin
nutzt die Ergebnisse. Das Gespräch mit mir führt nach wie vor der
Mensch. Aber klar, es braucht dann weniger Mitarbeitende in den
Labors.
Wie werden sich die Krankenkassen verändern?
Bisher werden die Kassen vor allem dann wahrgenommen, wenn man krank
ist. In Zukunft werden Krankenkassen sich zu Lifestyle-Marken
wandeln. Die TK geht ja heute schon in diese Richtung. Sie bietet
Lebenshilfe zu allen Themen der Gesundheit und eines gesunden
Lebensstils, zur Bedeutung von Ernährung und Sport. Notwendig wird
dafür sein, dass es einen besseren Zugang zu Gesundheitsdaten gibt.
Dann könnte man auch sinnvollere Präventionsangebote machen.
Also nicht Prävention mit der Gießkanne, sondern individuell auf
jede Patientin und jeden Patienten zugeschnitten?
Genau. Meine Vision ist, dass ich einmal einen Gentest mache, und
dann werde ich mein Leben lang vom Gesundheitssystem präventiv so
betreut, wie es genau zu mir passt, zu meinen Veranlagungen und
Risiken.
Nick Sohnemann ist Gründer und Managing Director der Hamburger
Innovationsagentur „Future Candy“. Er berät Unternehmen zu Themen
der digitalen Transformation.