

„Mobilität geht nur gemeinsam“
Eine Initiative von ZUKUNFT NAHVERKEHR und dem SZ Institut
Auf der IAA Mobility zeigt die Initiative ZUKUNFT NAHVERKEHR (ZNV), wie Mobilität für alle funktionieren kann. Im Interview erklärt Philipp Kühn, Mitbegründer der Initiative, wie die ZNV den Dialog zwischen Automobilbranche, ÖPNV und Gesellschaft in Bewegung bringt.

Was war der Auslöser, die Initiative ZUKUNFT NAHVERKEHR (ZNV) ins Leben zu rufen?
Der ehemalige Bundeskanzler Scholz hatte vor ein paar Jahren zu einem Mobilitätsgipfel geladen. Davon gibt es ein Abschlussfoto, darauf sieht man sechs Vertreter von Automobilkonzernen und einen der Fahrradverbände − und niemanden, der den ÖPNV vertritt. Solche Beispiele zeigen, dass der ÖPNV mehr Sichtbarkeit im politischen Raum für seine Anliegen braucht. In der Öffentlichkeit werden wir oft schlechter wahrgenommen, als wir sind. Wir wollen zeigen, wie wichtig öffentliche Mobilität für Deutschland ist – und wie gut sie heute schon ist. Außerdem dreht sich die Diskussion viel zu oft darum, wie viel ÖPNV man sich leisten kann. Wir würden lieber mehr darüber diskutieren: Wie viel ÖPNV brauchen wir, damit er einen positiven Einfluss auf die Wirtschaftskraft, auf das Klima und auf die Lebensqualität haben kann?

Wie viel ÖPNV braucht Deutschland denn?
Der Status quo ist: Der Verkehrssektor erreicht seine Klimaziele nicht und es gibt viele negative Begleiterscheinungen durch Verkehr. Wenn mehr Menschen den ÖPNV nutzen, gehen die CO2-Emissionen zurück und wir können einen Verkehrskollaps in Städten verhindern und mehr Zugang zu Mobilität in ländlichen Räumen schaffen. Durch den Einsatz von klimaschonenden Technologien im ÖPNV können die Emissionen zusätzlich reduziert werden. Wir würden auch weniger Parkraum in Städten brauchen und könnten die gewonnenen Flächen besser nutzen. Wir wollen den Menschen aber nicht das Auto verbieten. Jeder soll die Mobilität haben, die gut für ihn ist – sie muss aber für jeden verfügbar sein.
Zu wenig bekannt ist der ÖPNV als Wirtschaftsfaktor. Arbeitsplätze, Standortsicherheit und Wirtschaftskraft sind im Moment beherrschende Themen. Der öffentliche Nahverkehr ist entscheidend dafür, dass diese Wirtschaftskraft überhaupt entstehen kann. Wir bringen jeden Tag Millionen Menschen zur Arbeit. Außerdem stärkt der ÖPNV den Einzelhandel, den Tourismus und die Immobilienbranche. Mehr ÖPNV bedeutet mehr Lebensqualität, mehr Teilhabe, mehr Zugang, mehr Wirtschaftskraft: Das wollen wir in den Blickpunkt rücken und mit Argumenten untermauern
Die IAA wird als Automesse wahrgenommen. Warum ist die ZNV auf der IAA mit einem großen Stand vertreten?
Die ZNV will auf der größten Mobilitätsveranstaltung des Jahres klarmachen, dass wir dazugehören, wenn es um Mobilität geht. Deshalb steht unser Stand auch im Open Space und nicht in der Fachmesse. Aus unserer Sicht nicht zielführend ist diese Polarisierung zwischen dem Auto und der öffentlichen Mobilität. Wir wollen kein Entweder-oder, sondern die Dinge verknüpfen und zusammenbringen. Deshalb lautet unsere Botschaft auf der IAA: „Mobilität geht nur gemeinsam.“

Was wollen Sie den Besucher*innen auf der IAA damit mitteilen?
An unserem Stand am Königsplatz vermitteln wir den Menschen, wie sich die Lebensqualität verbessert, wenn man verschiedene Verkehrsträger klug kombiniert. Aber in dem Begriff „gemeinsam“ steckt noch eine weitere Botschaft: Die Debatte um die Verkehrswende wird sehr emotional geführt. Jeder hat das Gefühl, dass man ihm etwas wegnehmen will. Wir würden da gerne die Emotionalität rausnehmen, indem wir die Vorteile für alle in den Mittelpunkt rücken und nicht die individuellen Nachteile.
Welche weitere Botschaft ist Ihnen besonders wichtig?
Mobilität ist Daseinsvorsorge und für die Teilnahme an einem gesellschaftlichen und sozialen Leben unabdingbar. Ein Ausbau des ÖPNV sorgt nicht nur für positive Effekte auf die Wirtschaft, das Klima und die Lebensqualität vor allem in Städten, sondern auch für mehr Teilhabe. Jeder sollte so mobil sein können, wie es zu seinen Lebensumständen passt – immer und überall.
Wie kann der ÖPNV auf dem Land besser funktionieren?
Durch nachfrageorientierte Ausweitung des Angebots und einfacheren Zugang. Ich glaube, dass man dafür nicht in einzelnen Verkehrsträgern, sondern übergreifend denken muss und für jeden Mobilitätsraum die optimale Kombination verschiedener Verkehrsmittel wählen sollte.
Künftig werden Technologien wie das autonome Fahren den Nahverkehr auf dem Land deutlich flexibler und günstiger machen können. Und in Deutschland können wir das im ÖPNV heute schon einsetzen.

Gibt es für Sie Beispiele im Ausland, von denen Deutschland lernen könnte?
Ein gutes Beispiel ist Wien: Die Stadt hat eine konsequente Ausrichtung auf den ÖPNV als Verkehrsangebot der Wahl vollzogen. Es wurden die Kapazitäten im ÖPNV erweitert und der Preis reduziert. So wurde der ÖPNV zu einer attraktiven Alternative für alle und es hat eine relativ konfliktfreie Verlagerung stattgefunden. Beeindruckt haben mich auch skandinavische Kommunen wie Helsinki. Dort gibt es digitale Plattformen, über die alle Mobilitätsangebote nutzbar sind. Aber da haben wir auch in Deutschland schon gute Ansätze.
Welche Rahmenbedingungen braucht man, um den ÖPNV als Grundpfeiler der Mobilität zu sichern?
Millionen Menschen bewegen sich täglich im öffentlichen Nahverkehr. Städte wie Frankfurt am Main oder München würden ohne funktionierenden ÖPNV kollabieren. Deshalb müssen wir langfristig in Infrastruktur investieren. Dafür braucht es aber eine langfristige Strategie. Wichtig ist auch ein Blick darauf, an welcher Stelle sich Investitionen lohnen. Ich wünsche mir eine verkehrsträgerübergreifende Perspektive bei der Priorisierung. Aber selbst wenn investiert wird, dauert es oft zu lang, bevor man mit den Maßnahmen loslegen kann. Es muss einfacher werden, mit großen Projekten beginnen zu können.
Wie nutzen Sie den ÖPNV persönlich?
Ich wohne in der Stadt, fahre viel mit dem Fahrrad und bin mit dem Deutschlandticket öffentlich unterwegs. An Fahrplänen orientiere ich mich eigentlich kaum, ich nutze halt das, was gerade da ist. Ein eigenes Auto habe und brauche ich nicht. Wenn ich mal eins brauche, leihe ich es. Es ist aus meiner Sicht ein hoher Luxus, dass ich für 58 Euro im Monat so mobil sein kann, wie es mir gefällt.