Ohne Maschinenbau gibt es keinen Green Deal

Der Green Deal dürfte die gesamte europäische Wirtschaftswelt verändern. Einer der wichtigsten Treiber dafür ist der Maschinenbau, doch stecken einige Unternehmen gerade voll in der Coronakrise. 

5 Min. Lesezeit

Gerade einmal zwei Wochen war Ursula von der Leyen (CDU) im Amt, als die Chefin der EU-Kommission den Green Deal – und damit eines der ambitioniertesten Projekte in der Geschichte der Europäischen Union – verkündete. Dahinter steckt ein Plan, wie der Kontinent bis 2050 klimaneutral und die Wirtschaft nachhaltiger werden soll. „Der europäische Grüne Deal ist unsere neue Wachstumsstrategie – für ein Wachstum, das uns mehr bringt als es uns kostet”, versprach von der Leyen am 11. Dezember 2019.

Das alles stellt zwar Unternehmen vor eine Vielzahl von Herausforderungen, doch auch Wirtschafts- und Finanzwelt sehen im Green Deal insgesamt deutlich mehr Chancen als Risiken. Um die Pläne aber umzusetzen, wird es ganz besonders auf den Maschinenbau ankommen. Denn er dürfte es am Ende sein, der all die Unternehmen mit neuen Produktionsgerätschaften ausrüstet. So sieht es zumindest der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) in Frankfurt. Mit seinen gut 3.300 Mitgliedern ist er die größte Netzwerkorganisation des Maschinenbaus in Europa. 

Um das Potenzial für die Maschinen- und Anlagenbauer einzuschätzen, ermittelte der VDMA gemeinsam mit der Boston Consulting Group (BCG) die Treibhausgasemissionen von 14 Sektoren und analysierte, wie sich diese durch den Einsatz modernster Technologien reduzieren lassen. Das zentrale Ergebnis wurde auf der digitalen Hannover Messe im Sommer verkündet: „Aufgrund der engen Verflechtung von Maschinen- und Anlagenbau mit nahezu allen Industrien bieten die Entwicklung und das Angebot solcher klimafreundlichen Technologien wirtschaftlich und ökologisch ein großes Marktpotenzial von über 300 Milliarden Euro pro Jahr“, sagte damals etwa Markus Lorenz, BCG-Partner und Studienautor.

Die Unternehmensberatung Oliver Wyman kam im Juli zu einem ähnlichen Ergebnis. 70 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen könnten durch den Maschinenbausektor beeinflusst werden, heißt es in ihrer Studie. Bis 2050 bestehe ein Umsatzpotenzial von über einer Billion Euro.

„Im Grunde ist der Maschinenbau schon immer ein großer Innovationstreiber gewesen”, sagt Matthias Zelinger, Geschäftsführer des Fachverbands Power Systems beim VDMA und Klima- und Energiepolitischer Sprecher. „Wir sind es, die alte Technologien ablösen, früher haben wir zum Beispiel Kohlekraftwerke gebaut – heute sind es wasserstofffähige Gaskraftwerke und Windkraftanlagen.” Laut Zelinger geht es nun auch darum, den Produktzyklus neu zu definieren. „Bisher bestand der im Wesentlichen aus der Rohstoffbeschaffung, der anschließenden Produktion und der Nutzung. Danach ging es oft nur um die Frage, die Überreste irgendwie zu entsorgen.” Nun gehe es um Recycling, um eine werthaltige Kreislaufwirtschaft.

Und wenn die Wirtschaft auf grün gestellt werden soll, dann brauche sie auch neue Produktionsverfahren. „Für uns stellt sich vor allem die Frage, wann und wo genau Kunden ein Geschäftsmodell dafür finden”, sagt Zelinger. Denn die Wirtschaft kämpft zurzeit eher mit den Auswirkungen von Corona als wirklich an der Transformation zu arbeiten. Die anfängliche Euphorie scheint zu verfliegen. Das ifo Institut in München schätzt, dass die Wirtschaftsleistung in Deutschland im Jahresdurchschnitt 5,2 Prozent niedriger sein dürfte als noch im Vorjahr. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde wohl erst im vierten Quartal 2021 sein Vorkrisenniveau erreichen. Noch immer sind viele Mitarbeiter in Kurzarbeit, einige Mittelständler bangen um ihre Existenz.

Unter der eingebrochenen Konjunktur leidet auch der Maschinenbau, der in der Regel Zulieferer für die anderen Unternehmen ist. 90 Prozent der Maschinenbauer sehen sich von der Coronakrise betroffen. Allein im ersten Halbjahr fielen gut 32.000 Arbeitsplätze weg. Das Exportgeschäft sank im zweiten Quartal 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 22,9 Prozent auf 35,2 Milliarden Euro. Und schon vorher hatten Maschinenbauer an vielen Stellen zu kämpfen. Zulieferer der Automobilhersteller sind angesichts der Mobilitätswende hin zum Elektroauto unter Druck. Die weltweite Konjunktur schwächelte schon vorher. Der Handelskonflikt zwischen den USA und China tat sein Übriges. 

Nach den ersten Hilfsmaßnahmen zu Beginn des Jahres muss die Politik nun entscheiden, ob sie weitere Hilfsgelder etwa an Nachhaltigkeitskriterien knüpft, um die Klimaziele voranzutreiben oder sie erstmal versucht, die Unternehmen zu retten. „Wer ein in normalen Zeiten funktionierendes Geschäftsmodell hat, der muss grundsätzlich auch mit Sofortmaßnahmen unterstützt werden”, fordert Zelinger vom VDMA. Mittelfristig sei es aber völlig legitim, Maßnahmen zur Wiederbelebung der Konjunktur an zukunftsgerichtete Impulse zu knüpfen. „Die große Gießkanne brauchen wir nicht mehr, jetzt muss es um zielgerichtete Maßnahmen gehen”, sagt er.

Für Zelinger geht es dabei aber nicht nur um finanzielle Direkthilfen. „Wir müssen über die Abgabenlast diskutieren und Bürokratie abbauen.” Der Maschinenbau könne helfen, die Transformationskurve von einer guten Grundidee hin zur Serienproduktion zu beschleunigen. „Dafür brauchen wir einheitliche von der Politik vorgegebene Rahmenbedingungen”, sagt er. Denn sich auf den Green Deal einzulassen, bedeutet für den Maschinenbau und die gesamte Wirtschaft auch ohne Corona einige Risiken. Dazu gehört zum Beispiel die Konkurrenz außerhalb Europas. Grüner Stahl etwa wird teurer sein als weniger nachhaltig hergestellter Stahl aus China. Nur wie lassen sich klimaschutzbedingt unterschiedliche Produktionskosten bei Im- und Exporten ausgleichen, wie ließe sich das für jedes einzelne Produkt wirklich messen und wer kontrolliert das? „Noch gibt es keinen genauen Plan, wie das funktionieren könnte, auch gibt es die Gefahr, dass dies als Marktabschottung wahrgenommen würde”, sagt Zelinger. 

In Sachen Klimaneutralität in Europa vorneweg zu gehen, sei zwar durchaus richtig, allerdings könne das nur wirklich funktionieren, wenn auch andere große Wirtschaftsräume mitzögen, sagt Zelinger. „Aus China und Japan nehmen wir derzeit zum Glück wahr, dass auch diese beiden Länder sich in diese Richtung bewegen wollen”, sagt der VDMA-Experte. Und die USA? „Ob die Amerikaner da auch mitziehen, ist derzeit leider noch völlig offen.” 

Die Süddeutsche Zeitung ist weder für den Inhalt der Anzeige noch die darin enthaltenen Verlinkungen noch für ggf. angegebene Produkte verantwortlich.