Die Netzwerker

Wind und Sonne sollen unsere Energiequellen der Zukunft sein. Nur was passiert, wenn einmal kein Wind weht und es bewölkt ist? Betreiber virtueller Kraftwerke wollen eine Lösung gefunden haben.

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So sehr mittlerweile auf die angeblich verunglückte Energiewende in Deutschland geschimpft wird: Der Anteil der erneuerbaren Energien steigt seit Jahren an, 2019 lag er bereits bei 42 Prozent. Im Jahr 2000 betrug er gerade einmal sechs Prozent. Wie also erklärt sich die Kritik, die selbst renommierte Expertengruppen wie das Energiewirtschaftliche Institut der Universität zu Köln äußern?

Viele fürchten, dass durch den zu schnellen Umstieg auf Wind und Sonne die Versorgungssicherheit nicht mehr gewährleistet sei. Bei klassischen – sprich fossilen – Energieträgern war das nie ein Problem, doch Energiequellen wie Solaranlagen oder Windparks hängen stark von äußeren Bedingungen ab. Kein Wind, kein Strom, so einfach ist die Gleichung. Gleichzeitig fehlen bisher die technischen Möglichkeiten, um Strom in so einer großen Menge zu speichern, dass die Ungleichgewichte ausgeglichen werden könnten. Bis 2050 aber soll der Anteil Erneuerbarer Energien sogar auf 100 Prozent ansteigen und Gas- sowie Kohlekraftwerke damit komplett abgeschaltet werden, die aktuell noch mehr als die Hälfte der Stromerzeugung übernehmen.

Im Kölner Stadtteil Ehrenfeld arbeiten Menschen, die meinen, eine Lösung für dieses Dilemma gefunden zu haben. Hier sitzt die Firma Next Kraftwerke, einer der größten Betreiber virtueller Kraftwerke in Deutschland. Virtuelle Kraftwerke sind keine großen Betonklötze, sie sind Zusammenschlüsse vieler kleiner Energiequellen, zum Beispiel Photovoltaikanlagen, Wasserkraftwerke oder Windenergieanlagen. Diese werden zentral gesteuert, aus der Kommandozentrale heraus schalten die Kraftwerksbetreiber Anlagen an und aus, je nachdem wie viel Strom gerade gebraucht wird. An den Anlagen selbst installieren sie dafür ein Steuerelement, das ihnen die Kontrolle gibt. Der Anlagenbetreiber selbst muss sich nur noch um die Instandhaltung kümmern. 

Bei Next Kraftwerke speisen die knapp 180 Mitarbeiter aktuell insgesamt rund 8.500 Megawatt in die deutschen Netze ein. Zum Vergleich: Ein mittleres Atomkraftwerk hat eine Nennleistung von 1.400 Megawatt.

Um die richtige Menge an aktiven Anlagen zu bestimmen, erheben die Unternehmen Daten über die Stromproduktion und den Strombedarf. Produzieren also zum Beispiel Windanlagen extrem viel, während die Nachfrage gleichzeitig gering ist, schaltet das Kraftwerk sie ab. Gibt es hingegen gerade viel Nachfrage, aber wenig Wind oder Sonne, kann das virtuelle Kraftwerk wetterunabhängige Energietreiber wie Biogasanlagen zuschalten. Überproduktion und Übernachfrage können sie so verhindern.

„Unser Energie-Output ist planbar, wir liefern Regelenergie“, erklärt Jan Aengenvoort, Unternehmenssprecher und Mitglied des Vorstandes bei Next Kraftwerke. Das macht die 2009 gegründete Firma für die Übertragungsnetzbetreiber zu einem interessanten Geschäftspartner. In Deutschland gibt es vier dieser Unternehmen, die den Markt unter sich aufgeteilt haben: Tennet TSO, 50Hertz, Amprion und TransNet BW. Diese müssen für eine stabile Stromversorgung sorgen, selbst in Extremsituationen mit viel Stromverbrauch, wenn etwa ganz Deutschland das WM-Finale schaut. Next Kraftwerke könnte in so einem Fall den eigenen Strom-Output hochfahren, indem sie mehr Anlagen anschalten, sofern die Netzbetreiber mehr Strom anfordern.

Für die Betreiber der Anlagen ist die Zusammenarbeit mit den Kölnern attraktiv, da sie ihren Strom dadurch auf den Großhandelsmarkt bringen können. Allein fehlt vielen von ihnen das Minimalvolumen von fünf Megawatt, um an den Regelenergiemarkt zu gehen und ihre Flexibilität an die Übertragungsnetzbetreiber zu verkaufen, dank der Bündelung über Next Kraftwerke funktioniert das. „Wir erhöhen damit die Erlöse für unsere Teilnehmer“, verspricht Aengenvoort. Auch an der Strombörse koste Strom nicht immer gleich viel, der Preis an der Börse schwanke ständig. „Wir verkaufen ihn nach Möglichkeit dann, wenn der Preis am höchsten ist“. Dies erhöht die Einnahmen der Anlagenbetreiber über die festen Vergütungssätze fürs Einspeisen hinaus.

Anfängliche Skepsis auf allen Seiten hat das Unternehmen mittlerweile überwunden, meint Aengenvoort. „Sowohl die Anlagen- als auch die Netzbetreiber wissen, was sie an unserem Modell haben“, sagt er. Die Zahlen bestätigen das: Die installierte Kapazität virtueller Kraftwerke hat sich von 2014 bis 2019 laut Internationaler Energieagentur verdoppelt. Neben Next mischen auch Firmen wie Energy2Market, Statkraft und Sonnen mit. Auch die etablierten Energieversorger wie RWE versuchen sich an virtuellen Kraftwerken. 

Aktuell schaut Next Kraftwerke auch über die Landesgrenzen hinweg, erwägt etwa einen Markteinstieg in Polen. Auch die USA seien ein interessanter Markt, aber man müsse sich die Gegebenheiten vor Ort genau anschauen, sagt Aengenvoort. Denn Next Kraftwerke müsse gar nicht immer selbst Betreiber sein. „Wir verkaufen unsere Technologie auch als Software-as-a-Service“, sagt er.

„Virtuelle Kraftwerke können zu einem wichtigen Baustein der Energiewende werden“, erklärt das Bundeswirtschaftsministerium im Hinblick auf die Technologie: „Sie sorgen mit dafür, dass die Stromversorgung hierzulande sicher ist und Deutschland ein attraktiver Wirtschaftsstandort bleibt.“ Als Langfristspeicher, die überflüssigen Strom saisonal vorrätig halten und bei Bedarf abrufen, taugen virtuelle Kraftwerke aber nicht. „Da wird es andere Technologien brauchen, die mit virtuellen Kraftwerken Hand in Hand funktionieren“, sagt Aengenvoort von Next Kraftwerke. Eine solche Planung müsse die Gesellschaft gemeinsam angehen und steuern.

Wobei andere Anbieter auch durchaus Ideen haben, wie virtuelle Kraftwerke bei der Speicherung helfen können. Die Energiespeicherfirma Sonnen etwa arbeitet gemeinsam mit Netzbetreiber Tennet daran, Batteriespeicher aus ganz Deutschland zu vernetzen. In diesen soll nach Vorstellung des Unternehmens der überschüssige Strom eingelagert werden. Zwar ist auch hier jeder Speicher für sich nicht wirklich signifikant. Würde ein Betreiber aber allein alle Photovoltaik-Speicheranlagen in Deutschland in einem solchen Kraftwerk bündeln, käme man nach Einschätzung von Sonnen auf mehrere Gigawatt Speicherplatz.

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