Die Krux mit den Daten

Für eine effektive Umsetzung der ESG-Taxonomie brauchen Finanzdienstleister eine gute Datengrundlage. Doch Unternehmen haben es gar nicht so einfach, die dafür entscheidenden Punkte zusammenzutragen. 

19. Mai 2021 - 5 Min. Lesezeit

ESG, CSR und EFRAG – GRI, TCFD und SASB: Sustainable Finance klingt in Europa derzeit ein wenig wie einer der größten Hits der Fantastischen Vier. Der Dschungel an wichtigen Begriffen, der für Finanzdienstleister und Unternehmen zunimmt, wird immer größer, die Herausforderung ist aber immer die gleiche: Es geht darum, gemeinsame Standards für Berichterstattung der Unternehmen zu finden. Firmen müssen anhand von konkreten Zahlen zeigen können, inwieweit sie die Kriterien Environmental, Social und Governance (ESG) erfüllen und Finanzdienstleister müssen in der Lage sein, diese Angaben miteinander zu vergleichen. Dann können sie wiederum festlegen, wie viel Geld ihrer Kunden sie in die entsprechenden Unternehmen stecken wollen. Nur so können alle Seiten Vertrauen schaffen.

Noch fehlt es dazu aber an einheitlichen Kriterien. Was genau „nachhaltig” ist, definieren Kunden, Unternehmen, der Finanzsektor und selbst die Politik höchst unterschiedlich. Das führt zum Beispiel dazu, dass sich Angaben der verschiedenen Unternehmen nur schwer miteinander vergleichen lassen, Fondsmanager sich schwertun, Firmen hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeitsbestrebungen vernünftig einzuschätzen und Privatinvestoren vollends den Überblick verlieren. So kann nicht genügend Geld aus dem privaten Sektor in die Umwandlung hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft in der EU fließen.

Bereits seit 2017 sind große kapitalmarktorientierte Unternehmen, Kreditinstitute und Versicherungen in der EU dazu verpflichtet, über nichtfinanzielle Aspekte zu berichten. So sah es die Richtlinie für Corporate Social Responsibility (CSR) vor. Die Informationen, die sie bisher jedoch lieferten, seien oft nicht relevant genug, kritisierten Investoren. „Wir sind noch immer weit von messbaren und einheitlichen Kennzahlen entfernt“, sagt etwa Sabine Fischer von BB Alternative Partners. Der Kölner Finanzdienstleister unterstützt institutionelle Investoren, Stiftungen und Family Offices bei der Allokation und beim Management von Alternative Investments, unter anderem in puncto Regulatorik. „Noch ist das alles viel Prosa“, sagt sie.

Selbst Ratingagenturen wüssten bisher nicht genau, wie sie am besten prüfen könnten, sagt Fischer. Einige schicken etwa Fragebögen an die Unternehmen, wenngleich diese Methode umstritten ist, da große Firmen mit spezialisierten Teams sich bei der Beantwortung der Fragen viel leichter tun als kleine. Die Fondsgesellschaft NN Investment Partners etwa hat herausgefunden, dass große Firmen im Durchschnitt bessere Nachhaltigkeitsnoten erhalten.  

Um all die Daten zu messen und einfach zu verfolgen, könnte zukünftig die Blockchain-Technologie helfen. Die ist erst einmal eine Kette, in der Daten im Zeitablauf aneinandergereiht werden. Dritte können sie nachträglich nicht mehr verändern. Damit lassen sich zum Beispiel Produkte bauen, die Daten von Photovoltaikpanels messen und direkt speichern. So könnten Unternehmen glaubhaft zeigen, dass die Daten, die sie etwa bei ihrem Stromverbrauch angeben, auch der Wahrheit entsprechen.

Eine weitere Möglichkeit, die Daten zu sammeln, stellen KI-gestützte Programme dar, etwa um den CO2-Ausstoß zu berechnen. Oft setzen Unternehmen, um ihren ökologischen Fußabdruck zu berechnen, auf Durchschnittswerte beim CO2-Ausstoß. Doch es geht präziser: So lässt sich zum Beispiel mit der entsprechenden Software auch berücksichtigen, dass der CO2-Ausstoß beim Stromverbrauch von Land zu Land unterschiedlich ist, abhängig vom jeweiligen Energiemix. Fußball-Bundesligist Werder Bremen setzt zum Beispiel auf ein Start-up, das eine solche Software anbietet, um den eigenen CO2-Ausstoß präzise zu erfassen und anschließend zu senken. 

Die EU-Kommission hat angesichts all der kritischen Punkte im April ihre Vorstellungen konkretisiert und unter anderem einen Richtlinienvorschlag zur Nachhaltigkeitsberichterstattung der Unternehmen gemacht. Bald soll die genau so aussagekräftig sein wie die Finanzberichterstattung der Firmen. Zudem müssen zukünftig deutlich mehr Unternehmen als nur die ganz großen über nichtfinanzielle Aspekte berichten. In Zukunft sollen mit Ausnahme von Kleinstunternehmen alle an einem Kapitalmarkt in der EU gelisteten Firmen über nachhaltige Aspekte informieren. Das gilt auch für große nicht gelistete Unternehmen.

„Die neuen Bestimmungen werden eine grundlegende Wende im Finanzwesen herbeiführen”, sagte die für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und die Kapitalmarktunion zuständige Kommissarin Mairead McGuinness im April zu dem neu beschlossenen Maßnahmenpaket. „Wir setzen ehrgeizigere Maßstäbe im Bereich des nachhaltigen Finanzwesens, damit Europa bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent wird. Die Zeit ist gekommen, auf Worte Taten folgen zu lassen und nachhaltig zu investieren." 

Den bisherigen Flickenteppich an Reporting-Standards möchte die EU ebenfalls ablösen. So müssen Unternehmen künftig alle nachhaltigkeitsbezogenen Fakten veröffentlichen, die für das Verständnis von Geschäftsverlauf, Lage und Ergebnis erforderlich sind. Auch Informationen, die nötig sind, um die Auswirkungen des Unternehmens auf die Gesellschaft zu verstehen, muss die Firma preisgeben. „Ein weitestgehend qualitativer Nachhaltigkeitsbericht, der nur wenige Seiten umfasst, wird nicht mehr regelkonform sein“, schätzt Nicolette Behncke, Partnerin und Expertin für Sustainability-Reporting und -Assurance bei PwC Deutschland, die Ankündigungen der EU-Kommission ein. Die genauen Standards ausarbeiten soll die Europäische Beratergruppe für Rechnungslegung (EFRAG).

Bis die entwickelt wurden, bleibt Unternehmen erst einmal nichts anderes übrig, als auf die großen Standards GRI, TCFD und SASB zu setzen. Der GRI ist der weltweit am häufigsten verwendete Standard zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. SASB ist wiederum ein Standard, der von großen Finanzinstitutionen gesetzt wurde. Beim TCFD geht es um die Frage, wie viel CO2 ein Unternehmen derzeit verursacht.

Sowohl bis zu einem einheitlichen Standard als auch bis zu einer weit verbreiteten Nutzung der Blockchain-Technologie scheint es noch ein langer Weg. Bis dahin bleibt Finanzdienstleistern, Unternehmen und auch Privatinvestoren nichts anderes übrig, als sich ihre eigenen Nachhaltigkeitsstandards zu definieren. Sabine Fischer von BB Alternative Partners hat dazu etwa ein ESG-Scoring-Modell entwickelt. Damit will sie einordnen, wie gut sich Manager von Private-Equity- und Private-Debt-Fonds an Nachhaltigkeitskriterien halten. „Noch vor zwei Jahren waren Nachhaltigkeitsstandards bei Fondsmanagern im Bereich Private Equity eher was für Idealisten“, sagt sie. „Heute setzen darauf die meisten, es ist viel in Bewegung.“