Nur noch kurz die Welt retten

19. Mai 2021 - 4 Min. Lesezeit

Um unseren natürlichen Lebensraum zu bewahren, die Tierwelt zu erhalten und die Pariser Klimaziele einzuhalten, müssen Wirtschaft, Politik und der Finanzsektor weltweit zusammenarbeiten. Dafür braucht es auch neue, spezifische Finanzprodukte. Die zu entwickeln ist aber nicht gerade einfach. Eine Bestandsaufnahme.

Auf vier bis sechs Billionen US-Dollar beziffert der britische Wirtschaftswissenschaftler Partha Dasgupta die Schäden, die wir durch unser Wirtschaften Jahr für Jahr an unserer Natur anrichten. Gleichzeitig würden die Nationen lediglich zwischen 78 und 143 Milliarden US-Dollar für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ausgegeben. Es ist ein alarmierendes Missverhältnis, das Dasgupta im Auftrag seiner Regierung errechnet und im Februar dieses Jahres präsentiert hat. Es zeigt: Von einem nachhaltigen Wirtschaften ist die Menschheit weit entfernt.

Für seinen Bericht hat Dasgupta versucht, den Wert der Natur aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht zu beschreiben. Darin zeigt er auch die wirtschaftlichen Konsequenzen auf, die durch die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen entstehen. Ein Wirtschaftssystem, das auf grenzenlosem Wachstum basiert, wird dem Forscher zufolge zum ökologischen und klimatischen Zusammenbruch führen. Für die Wirtschaft muss es daher in Zukunft darum gehen, die Biodiversität, also die Arten- und Ökosystem- sowie die genetische Vielfalt mit der Nutzung der Ressourcen in Einklang zu bringen.

Es gibt bereits eine ganze Reihe von Initiativen, in denen Banken, NGOs, Regierungen und Unternehmen sich mit der Frage beschäftigen, wie genau sie die Wirtschaft dafür umbauen können – und das weltweit. Klar ist bereits: Die Geldströme müssen künftig in eine andere Richtung fließen, weg von umweltschädlichen Maßnahmen und hin zu einem Wirtschaften, das die Natur nicht zu stark belastet.

„Die Transformation muss entschieden, ambitioniert und auch sozial akzeptabel sein“, beschreibt Marine de Bazelaire diese große Aufgabe. Sie ist bei der HSBC für das Thema Naturkapital zuständig. Die Bank engagiert sich in der sogenannten Taskforce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD). In dieser Initiative haben sich im vergangenen Jahr 74 Finanzinstitute, Regulierungsbehörden, Unternehmen und weitere Organisationen zusammengeschlossen. Sie wollen naturbezogene Finanzkennzahlen entwickeln, um anschließend neue Finanzprodukte schaffen zu können. „Wir brauchen einheitliche Standards, an denen sich alle Beteiligten weltweit orientieren können“, sagt de Bazelaire. Das schaffe Vertrauen in neue Finanzprodukte und in die Wirksamkeit der Maßnahmen der Unternehmen. „Diese Standards können wir nur gemeinsam entwickeln.“

Ein großes Problem dabei: Das Bewusstsein für das Thema ist von Land zu Land ganz unterschiedlich. „In Europa ist zum Beispiel allen klar, wie wichtig es ist, unsere Wälder zu erhalten“, sagt de Bazelaire. In anderen Regionen sehe das schon ganz anders aus. „Der Regenwald am Amazonas wird zum Beispiel abgeholzt, um die Flächen für die Landwirtschaft zu nutzen. Die Nachfrage nach den Produkten kommt dabei aus China.“ Solche Verzweigungen gibt es de Bazelaire zufolge in nahezu jedem Sektor und genau diese machen die Arbeit von Initiativen wie der TNFD und von Banken so schwierig.

Instrumente wie etwa der Emissionshandel der EU reichen noch nicht aus. Eine weitere Möglichkeit könnten zukünftig sogenannte „Debt for Nature Swaps“ sein. Dabei übernehmen zum Beispiel Umweltschutzorganisationen aus Industrieländern die Schulden von einem Entwicklungsland und bezahlen diese. Im Gegenzug sichert das Land zu, bestimmte Umweltschutzprojekte durchzuführen, beispielsweise einen Wald wieder aufzuforsten oder eine Region zum Naturschutzgebiet zu erklären. Das Entwicklungsland kann sich von einem Teil seiner Schulden befreien, die NGO erreicht ihr Ziel, den Wald zu retten. „Das Potenzial dahinter ist riesengroß“, sagt de Bazelaire. Bis zur flächendeckenden Marktreife der entsprechenden Produkte brauche es aber noch etwas Zeit.

Neue Produkte braucht es auch zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten. Christian Deseglise von der HSBC will dafür zunächst einen neuen Standard schaffen. „Wir brauchen eine Art Goldstandard, wie wir ihn für den Bau von Häusern kennen für Infrastrukturprojekte“, sagt er. Unternehmen, die etwa beim Bau einer neuen Straße diese Kriterien erfüllen, könnten dann zum Beispiel Kredite zu besseren Konditionen erhalten.

Die Geldströme in diesem Bereich neu auszurichten, ist dringend nötig. „Wenn wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen wollen, müssen wir unbedingt unsere Infrastruktur reformieren“, sagt Deseglise. Dazu zählen neben dem Bau und Unterhalt von Straßen auch das Transportwesen und die Energieerzeugung. „Der Infrastrukturbereich macht 70 Prozent der globalen CO2-Emissionen aus“, sagt Deseglise. Besonders Schwellenländer würden in den kommenden 30 Jahren ihren Infrastrukturbestand noch einmal verdoppeln.

„Wir müssen zum einen bestehende Infrastruktur nachrüsten und dafür sorgen, dass neue Projekte möglichst CO2-arm sowie besonders robust gegen Umweltkatastrophen sind“, sagt er. Doch Schwellenländer würden am liebsten schnell bauen und aufrüsten, ohne Umweltfaktoren angemessen zu berücksichtigen. Gerade dort könnten Banken und Investoren Druck zu machen.

„Wenn wir eine globale nachhaltige Infrastruktur aufbauen wollen, kostet uns das jährlich sieben Billionen US-Dollar“, sagt Deseglise. Bisher würden jährlich nur drei bis vier Billionen US-Dollar in die Infrastruktur investiert. „Wenn wir Produkte schaffen, mit denen wir diese Finanzierungslücke schließen können, dann haben wir die Chance, nachhaltig etwas zu verändern.“