Herrn Huemers Gespür für Kunststoff

Der Wechsel vom Verbrenner zur Elektromobilität betrifft nicht nur die Autohersteller, sondern auch ihre Zulieferer. Gerade für die Kleinen der Branche könnte es eng werden. Der Kunststoffverarbeiter Polytec zeigt, wie die Transformation trotzdem gelingen kann.

14. Juli 2021 - 5 Min. Lesezeit

Es gebe keinen Druck im Profifußball, so hat es der legendäre Trainer José Mourinho einmal formuliert. Druck hätten Menschen, die ihre Familie ernähren müssen, nicht er und seine Spieler, die lediglich ein Spiel gewinnen wollten. Angesichts der Tatsache, dass Menschen wie Mourinho je nach Tagesform wahlweise die Bewunderung oder der Hass von Millionen Fans entgegenschlägt, überrascht diese Einschätzung. Aber vielleicht entwickelt man diese Gelassenheit, wenn man permanent mit hohen Erwartungen konfrontiert wird.

Das würde auch erklären, warum Markus Huemer wie die Ruhe in Person wirkt. Denn auch der CEO des österreichischen Automobilzulieferers Polytec hat eigentlich Druck von allen Seiten. Die großen Automobilhersteller stecken mitten im Transformationsprozess hin zur Elektromobilität, die Rohstofflieferketten stehen wegen der Coronapandemie nach wie vor unter Druck. Außerdem muss er seinen Mitarbeitern gegenüber einen der größten Strukturumbrüche der Unternehmensgeschichte rechtfertigen. „Dieses Geschäft ist eben nicht immer fair, das muss man auch akzeptieren“, sagt er.

Huemer muss die Polytec Group, an der seine Familie den größten Anteil hält, auf Kurs halten, während die Branche drumherum in Aufruhr ist. Autozulieferer würden vom Ende des Verbrenners hart getroffen, konstatierte etwa die Unternehmensberatung Roland Berger jüngst in einer Studie. Und während die Größen der Branche wie ZF, Bosch und Continental den Wandel hin zum Elektroantrieb wohl verkraften werden, sind es gerade die kleinen Zulieferer, die ins Hintertreffen geraten könnten. Zu spezialisiert, zu wenig Finanzkraft, so das Urteil der Studie. Mit einem Umsatz von 522 Millionen Euro im Jahr 2020 und etwa 3.600 Mitarbeitern gehört auch Polytec in diese Kategorie, die die Studienautoren bei 2,5 Milliarden Euro Umsatz deckeln. Die großen Zulieferer setzen oft 30 Milliarden Euro oder mehr um.

Aber im oberösterreichischen Hörsching, am Polytec-Hauptsitz, bricht deswegen keine Panik aus. „Zunächst einmal machen Teile, die direkt an den Verbrennungsmotor gekoppelt sind, bei uns nur rund 20 Prozent aus“, erläutert Huemer. Polytec stellt Kunststoffteile her, die überall in Pkw und Nutzfahrzeugen verbaut werden, also auch an und in der Karosserie, Unterbodenverkleidung, oder zur Akustikdäummung, sowei außerhalb der Automobilindustrie. „Mittelfristig wird der Verbrenneranteil bei uns auf sechs bis acht Prozent sinken, aber das werden wir verkraften können“, prognostiziert Huemer. Man sei flexibel genug, um auch für E-Autos passende Produkte zu liefern.

Zum Beispiel bei Unterböden: Diese haben bei Elektroautos andere Anforderungen. Konkret geht es dabei um das Brandpotenzial, das in den Batterien schlummert. Entsprechend brauchen die Unterböden eine höhere Widerstandsfähig gegen Durchschlagskräfte, um die Batterie zu schützen als bisher. Auch an Lösungen für das Kunststoffgehäuse rund um die Batterien arbeite man, sagt Huemer. „Dadurch, dass wir im Prinzip alle Formen der Kunststofftechnologie im Konzern haben, können wir sehr flexibel auf die Wünsche der Kunden reagieren“, ist er sich sicher.

Um diese Flexibilität herzustellen, hat Polytec seine Unternehmensstruktur geändert. Bisher seien die verschiedenen Technologien in unterschiedlichen Bereichen angesiedelt gewesen. „Wenn nun ein Kunde von Sparte Eins etwas brauchte, was Sparte Zwei anbot, dann bekamen das die Kollegen manchmal gar nicht mit“, schildert der CEO die alte Struktur. Nun sind alle Bereiche zusammengelegt, die sogenannte „POLYTEC Solution Force“ soll eng mit den Kunden arbeiten und diesen individuelle Produkte auf den Leib schneidern. Die Autobauer würden sich darüber freuen, meint Huemer. „Die Partnerschaft mit denen ist nicht immer einfach für uns Zulieferer, aber wenn wir mit den entsprechenden Ideen in den Dialog kommen, nehmen die uns natürlich ernst.“

Also alles gar kein Problem im schönen Linzer Land, der Heimat von Polytec? Ganz so einfach ist es nicht, das räumt der CEO auch ein. Die Entwicklung neuer Produkte koste viel Geld. Gleichzeitig hat kaum ein Zulieferer langfristige Verträge, was die Investitionsbereitschaft schmälert. Geht ein Unternehmen wie Polytec also in Vorleistung, ist das mit gehörigem Risiko verbunden. Dazu kommt die Notwendigkeit, auch die eigene Produktion nach ESG-Kriterien aufzustellen, gerade jetzt, da die Finanzmärkte mehr auf diese achten.

Polytec hat einige Werke schließen müssen, um das Unternehmen zukunftsfest aufzustellen, wie Huemer erklärt. „Ich versuche unseren Mitarbeitern immer deutlich zu machen, dass dieser Wandel mehr Chance als Risiko darstellt“, sagt er: „Klar, die Leute in den geschlossenen Werken haben da nichts von, aber wir müssen versuchen, den anderen die Angst zu nehmen.“ Immerhin sehe er, dass die Finanzmärkte seinen Kurs honorieren, auch wenn er vor allem langfristig angelegt sei. Der Aktienkurs von Polytec ist deutlich im Plus, selbst wenn man das zwischenzeitliche Coronatief an den Märkten ausklammert.

Trotz allem spürt auch er, dass Geldgeber Engagement im Bereich ESG erwarten. „Das ist verständlich, aber man muss auch anerkennen, dass nicht jede Branche klimaneutral funktioniert“, sagt er. Huemer wünscht sich vor allem, dass sich Geldgeber nicht von blumigen Botschaften blenden lassen. „Wir bemühen uns seit Jahren, unsere Neuinvestitionen möglichst CO2-neutral zu tätigen“, sagt er: „Nur haben wir das lange nicht an die große Glocke gehängt.“ Angesichts der aktuellen Erwartungshaltung sei man nun gezwungen, genau das zu tun. „Wie viel Mehrwert das am Ende hat, weiß ich nicht.“ Da helfe es, dass Polytec auch Teile für Ladesäulen produziere, ein grünes Vorzeigeprojekt. Bei der Finanzierung setzen die Österreicher aber bisher nicht auf ESG-verknüpfte Finanzierungsmittel. „Wir arbeiten seit Jahren mit Schuldscheindarlehen und sind damit auch vollauf zufrieden“, so Huemer entspannt. Druck? Scheint er genauso wenig zu kennen wie José Mourinho.