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„Wir befinden uns in einer spannenden Aufbruchphase“

Wie passen flexibles Arbeiten à la „New Work“ und Mobilität zusammen? Und wie wird das geschäftliche Reisen der Zukunft aussehen? Ein Gespräch zwischen Céline Flores Willers, LinkedIn-Influencerin/Digital-Unternehmerin, und Dr. Hans-Peter Kleebinder, unabhängiger Mobilitätsexperte, über die Chancen und Potentiale der Schiene in der modernen Arbeitswelt.

Das Interview führte Julia Hoscislawski

Céline Flores WillersGründerin und Inhaberin der Agentur „The People Branding Company“
„Mobilität und persönliche Treffen werden, wenn sie nicht mehr so inflationär sind, viel bewusster gelebt und somit aufgewertet.“

Frau Willers, Sie und Ihr Team arbeiten 100 Prozent remote. Wie muss man sich das vorstellen?

Willers: Um erfolgreich remote arbeiten zu können, ist es super­wichtig, dass das Team zu 100 Prozent digital arbeitet und Prozesse und Arbeits­ergebnisse zu jeder Zeit für jeden sichtbar sind. Weil wir uns im Arbeits­­alltag nicht sehen, ist es außerdem für den Team­spirit umso wichtiger, dass wir feste digitale Rituale pflegen. Dazu zählen bei uns tägliche Check-ins, Teambesprechungen oder auch zweiwöchige Retro­spektiven, bei denen wir klären, was gerade gut läuft und was weniger. Das größte und schönste Ritual aller­dings sind für mich die Workations. Bei dem Format treffen wir uns dann auch ganz real, einmal im Quartal, mit dem ganzen Team in einer Offsite-Location. Demnächst sind wir beispielsweise für fünf Tage in einer Finca auf Mallorca – und arbeiten dann mit einem Coach an unserer Teamkultur.

Kleebinder: Ich arbeite sehr flexibel und genieße diese Autonomie. Ich pendle zwischen meinem Wohnort auf dem Land, einer Bürogemeinschaft in München und meinem Schreibtisch am Institut für Mobilität in St. Gallen. Je nachdem welche Art von Arbeit anfällt, an einem anderen Ort zu sein – das ist für mich New Work, und das hat viel mit Autonomie und Wahlfreiheit zu tun. Und genau hier kommt für mich die „New Mobility“ ins Spiel. Denn das Thema Flexibilität vereint die beiden Welten. Wir kommen weg von der erzwungenen Mobilität und verbessern unsere Lebensqualität im Beruflichen und insgesamt. Will und brauche ich ein persönliches Treffen oder reicht ein digitales Treffen aus? Diese Frage ist inzwischen selbst­verständlich. Bei den Pendlern ist es natürlich etwas anders. Aber auch die fahren oftmals weniger regelmäßig als noch vor Corona. Ich bin überzeugt – anders als Frau Willers –, dass persönliche Treffen grundlegend wichtig sind und dass diese eine Aufwertung erfahren. Weil heute eben auch vieles digital geht. Ich mache mich bewusst auf den Weg, egal mit welchem Verkehrsmittel. Unsere persönlichen Begegnungen werden aufgewertet.

Willers: Das finde ich einen sehr schönen und richtigen Gedanken – denn es stimmt: Mobilität und persön­liche Treffen werden, wenn sie nicht mehr so inflationär sind, viel bewusster gelebt und somit aufgewertet.

Dr. Hans-Peter Kleebinderunabhängiger Mobilitätsexperte und Studienleiter an der Universität St. Gallen
„Je nachdem, welche Art von Arbeit anfällt, an einem anderen Ort zu sein – das ist für mich New Work und das hat viel mit Autonomie und Wahlfreiheit zu tun.“

Herr Kleebinder, Sie haben aber auch noch eine andere These, die den Wert von Mobilität für unser modernes Leben ganz eindrücklich macht.

Kleebinder: Ja, ich bin überzeugt, dass Mobilität ein Grundbedürfnis von uns Menschen ist. Das haben wir während Corona, als es nicht möglich war, selbstbestimmt jederzeit un­ter­wegs zu sein, schmerzlich erfahren. Und ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass Mobilität ein Grundrecht ist. Neben dem Recht auf eine Aus­bildung und gesundheitliche Ver­sorgung müsste der Staat auch dafür sorgen, dass wir zum Arbeitsplatz kommen – hin und zurück. Entwick­lungen wie das 49-Euro-Ticket gehen daher in die richtige Richtung. Mobilität wird zugänglicher, unser aller Zugang inklusiver.

Willers: Wie wäre es denn, wenn jeder Bürger, von mir aus nach Einkommen gestaffelt, wie bei der Besteuerung, einen Betrag bezahlt und dafür einfach alle Mobilitäts­angebote, wie ÖPNV und Bahn, umsonst nutzen könnte.

Kleebinder: Solche Ansätze werden beispielsweise in Luxemburg schon umgesetzt. Die Erfahrungen zeigen, dass man dadurch Menschen moti­vieren kann, sich umweltfreundlicher zu bewegen und vielleicht auch das eigene Auto zu ersetzen. Mehr Anreize, weniger Verbote. Allerdings muss man aufpassen, dass kostenlose Angebote Mobilität nicht entwerten – das ist ein Spagat.

Willers: Aber dadurch geht doch der Wert nicht verloren! Unser gesetzliches Gesundheitssystem funktioniert ähnlich und ich persönlich schätze es sehr. Würde man mit diesem Ansatz Mobilität nicht einfach wirklich demokratisieren? Wo stehen wir mit solchen Ideen in Deutschland?

Kleebinder: Sie sind noch nicht weit verbreitet. Aber zum Beispiel könnte man so einen Ansatz über ein Mobilitätsbudget etwa beim geschäft­lichen Reisen einführen, indem ich als Unternehmen den Mitarbeitern Budget gebe und sie frei entscheiden können, ob sie das für Taxifahren, einen Dienstwagen, Zugfahren oder eine Bahncard ausgeben. Das hat für mich wirklich etwas von Smart Mobility.

Stichwort Smart Mobility. Worum geht es? Und wie ist der Zusammenhang zu „New Mobility“?

Kleebinder: Smart Mobility ist für mich die Art und Weise, wie wir es organisieren, dass wir in Zukunft effizienter, nachhaltiger und freud­voller unterwegs sind. Es muss unbedingt wieder Freude machen, von A nach B zu kommen: Zugfahren als etwas Schönes, was begehrenswert ist und auf das ich mich freuen kann. New Mobility ist hingegen mehr: Es ist ein Dreiklang aus Smart Mobility, Smart Cities und Smart Data. Wobei zweiteres bedeutet, dass wir weg­müssen von auto­zentrierten Städten hin zu menschenzentrierten Städten und Lebens­räumen. Es bedeutet aber auch, die Anbindung an den ländlichen Raum und die Einpendler mitzu­denken. Das wird unterschätzt und ist ein Riesenthema, bei dem der Schiene eine ganz wichtige Rolle zukommt. Und das letzte, da wird mir Frau Willers sicherlich zustimmen, sind Smart Data: Es braucht unsere persönlichen Mobilitätsdaten, um diese neue Mobilität überhaupt zu ermöglichen und verschiedene Verkehrsträger mit unseren Anforderungen multimodal zu vernetzen.

Willers: Stimmt, Open Data ist ein unglaublich wichtiges Stichwort. Oft sitzen Unternehmen auf Daten und machen nichts damit. Dabei muss man sich mal vorstellen, was für großartige Lösungen wir kreieren könnten, wenn wir die Daten von Autobauern, Verkehrsgesellschaften und Städten als eins betrachten würden. Doch solange jeder seine Datenhoheit behalten möchte, werden wir nie das ganze Potential der Daten ausschöpfen können. Ich fände es wiederum auch eine smarte Lösung, wenn Unternehmen kleine Datensets herausgeben würden, die einen Miniausschnitt aus den Gesamtdaten abbilden und anhand derer dann beispielsweise Start-ups herum­probieren könnten. Sobald diese einen Business Case finden, könnten sie ja die eigentlichen Unternehmen oder die Verkehrs­gesellschaften daran beteiligen – und im Gegenzug bekäme das Start-up den gesamten Datensatz. So würde jeder profitieren, und es würde sich endlich etwas bewegen.

Kleebinder: Es braucht genau solche Real-Labore. Speziell für das Thema Corporate Mobility als wichtigen Stellhebel für die Mobilitätswende und Erreichung unserer Klimaziele. Hinzu kommt, dass Unternehmen ab einer gewissen Größe den Mobilitäts-Fuß­abdruck ihrer Mit­arbeiter im Rahmen der EU-Taxonomie und des Green Deals nachweisen müssen.

Welche Rolle spielt die Schiene bei der Mobilität der Zukunft?

Kleebinder: Die Verkehrspolitik in Europa fokussiert sich auf die beiden Hauptsäulen Schiene und Straße. In Deutschland wurde jahrzehntelang fast nur auf das Auto gesetzt. Wir brauchen aber möglichst viele Mobilitätsformen, die jeweils auf unseren Bedarf abgestimmt sind. Ohne ein leistungsfähiges, attraktives Angebot auf der Schiene werden wir unsere Klimaziele nicht erreichen können. Die Rolle der Schiene wird es sein, den Flugverkehr zumindest national zu ersetzen und die Strecken zwischen Städten zu überwinden. Die Schiene hat in Deutschland noch ein Riesenpotential. Wenn man den Zug irgendwann als Space für sich versteht, in dem man arbeiten, lesen, entspannen kann, dann wird er erst so richtig attraktiv für Bewegungen wie New Work.

Frau Willers, was brauchen Geschäftsreisende und Pendler, um verlässlich auf die Bahn umzusteigen?

Willers: Ich finde vieles heute schon sehr gut – Ruhezonen, Gesprächszonen. In der ersten Klasse arbeitet es sich hervorragend, und auch das Essensangebot ist top. Aber ich wäre natürlich noch produktiver, wenn ich einfach einen guten Empfang, verlässliches Internet und noch mehr Privacy hätte. Beispielsweise wären schalldichte Kabinen wie in Co-Working Spaces cool, in denen man vertrauliche Gespräche führen kann. Aktuell gehört es leider noch zu meiner Bahnroutine vorher schon Aufgaben zu sammeln, die ich offline erledigen kann. Das sollte sich ändern, damit aus New Mobility auch New Work wird.

Verspätungen sind kein Problem?

Willers: Ich reise grundsätzlich immer am späten Vorabend zu Terminen an. Zu später Stunde sind die Züge nicht überfüllt und mein Termin am nächsten Tag ist auch bei Verspätung nicht gefährdet. Tatsächlich hatte ich bisher aber auch Glück und war allgemein wenig betroffen.

Kleebinder: Ich freue mich über Ihre positiven Erfahrungen. Allerdings muss die Bahn bei der Zuverlässigkeit deutlich besser werden, wenn sie eine echte Alternative für berufliches Reisen werden will – das zeigt auch die Studie. Ich sehe aber, dass New Work, ein neuer Zeitgeist und auch unsere Nachhaltigkeitsziele gute Voraussetzungen sind, um die dringend nötige Mobilitätswende auf den Weg zu bringen. Wir befinden uns mitten in einer spannenden Aufbruchphase.

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